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Kultur: Vom süßen Saft berauscht

Theater Nadi erzählt im T-Werk vom Schmetterling, der eine Braut suchte

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Kinder brauchen Märchen, Erwachsene manchmal auch. Denn nicht immer sind die Dinge so, wie sie erscheinen. Nicht immer ist ein grauer Schlafsack einfach nur ein grauer Schlafsack. Im Theater Nadi ist er eine Schmetterlingspuppe, aus der sich ein Mensch räkelt, Fühler und Flügel entfaltend. Ein Schmetterlingsmann, der sich, kaum dass er die Umgebung gesichtet hat, auf Brautschau begibt. Doch er sucht die Frau nicht unter seinesgleichen, sondern unter tausend Blüten. Vom süßen Saft kostend, taumelt er liebestrunken von einem Kelch zum nächsten, den Lauf der Zeit und sich selbst vergessend.

So erzählt es das Bildertheater „Herr Schmetterling sucht eine Braut“ nach einem Märchen von Hans Christian Andersen, das am Freitag im T-Werk Premiere hatte. Der poetischen Kraft früherer Kinderstücke der Potsdamer Theatergruppe Nadi vertrauend, sind die erwarteten Erwachsenen auch tatsächlich gekommen. Vom ersten Moment an lassen sie sich ein auf das wortlose Spiel aus Tanz und Bewegung, Mimik und Gestik. Musik, wie warmer Regen, spült das gerade noch Gedachte fort. Offen und bereit, wie in der Natur beim Anblick eines Schmetterlings verzückt inne zu halten, richtet sich alle Aufmerksamkeit auf das liebestolle Flatterwesen im Bühnenraum. Munter führt Pantomime Steffen Findeisen das ganze Repertoire männlichen Balzverhaltens vor. Mal gibt er den Macho, jungfräuliche Blüten verschreckend, mal den Galan, aufgeregt tänzelnd, mit dem Rüssel Nektar saugend, sich am Duft berauschend. Stolzen Blüten nähert er sich mit Bedacht , um bei möglicher Abfuhr schnell den Rückzug antreten zu können. Der Königin der Nacht liegt er demütig zu Füßen. Keine Chance. Mit wehendem Umhang fegt sie ihn hinfort.

Oben auf glaubt sich Herr Schmetterling, als er zwei unscheinbare Pflanzen in Seide und Organza kleidet. Die aber drehen den Spieß um, wickeln ihn ein und lassen ihn, bewegungsunfähig, stehen. Einmal mehr hat er die Frauen unterschätzt. Noriko Seki und Kristina Bausch charakterisieren die verschiedenen Typen, die scheuen und braven wie die eigensinnigen und unnahbaren. Oft genügen wenige Gesten und Blicke, ein gespreizter Finger, ein gespitzter Mund, um das Wesen der umworbenen Geschöpfe erahnen zu können. Dann wieder spielen sich in der Mimik beider Frauen ganze Dramen ab. Komisch wird es, wenn sie miteinander konkurrieren. Und traurig, wenn sie verletzt oder verlassen werden, denn der Schmetterling kann sich nicht entscheiden. So geht das Jahr ins Land. Die Blüten welken. Als Greisinnen weben die Frauen die silbernen Fäden des Altweibersommers über das Publikum. Noch vor dem Winter trifft den Schmetterlingsmann im Leib ein Stich. Auf eine Nadel gesteckt, endet er im Raritätenkasten. Der Sinn seines Lebens war es wohl, Blüten zu bestäuben und auf diese Art Schönheit zu mehren. Sich ernsthaft zu vermählen und selbst fortzupflanzen, das hatte er nicht gewollt.

Das Bildertheater ist reich an Metaphern, macht Unbewusstes sichtbar. Ein lustvolles, warmherziges Spiel, das dazu animiert, graue Verpuppungen abzustreifen, zu kosten, zu schmecken, sich am Leben satt zu sehen, so wie es Andersen tat. In seinen Märchen dürfen wir bis heute daran teilhaben, dank so sinnlicher Spielarten wie die des Theaters Nadi, auf immer neue Weise. Antje Horn-Conrad

Antje Horn-Conrad

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