Kultur: Von allen geliebt
Zum 85. Geburtstag von Rudi Kansy
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Das Musikzimmer in der Humboldt-EOS hatte blütenweiße Gardinen, und auf dem schwarzen Flügel, der sich unter dem Fenster befand, lag nie ein Körnchen Staub. Zu Weihnachten stand dort eine Vase mit Tannenzweigen und im Sommer wurde das weit geöffnete Fenster auch schon mal geschlossen, wenn die Klasse, abweichend vom Lehrplan, mit ihrem Musiklehrer einen Beatles-Song in den Raum schmetterte.
So kriegte sie Rudi Kansy alle: die Stimmgewaltigen und Stimmbrüchigen, die Verklemmten und Aufschneider. Er hatte eine Art, jeden Einzelnen ernst zu nehmen, die es allen zugleich unmöglich machte, diese eine Stunde Musik in der Woche nicht wertzuschätzen. Sein Unterricht war lebendig, einfühlsam und inspirierend. Er lehrte Musik, wie man sie ohne ihn nicht erfahren hätte – man musste sie nicht pauken, man lebte sie mit ihm.
Das erklärt ein wenig das unglaubliche Kunststück, wie es ihm gelang, zunächst als Lehrer am Lehrerbildungsinstitut Potsdam, später als Musiklehrer am Humboldtgymnasium, immer wieder Generationen von Heranwachsenden für das Hans-Marchwitza-Ensemble Potsdam zu gewinnen, das er 1949 gründete und bis 1982 all die Jahre leitete. Immer mit Leidenschaft, Charme und einer guten Portion Ironie. Seine Proben schwänzte man nicht einfach so, die Chor-Auftritte versäumte man auf keinen Fall und die Chorfahrten an die Ostsee, die er Jahrzehnte organisierte, waren die allerschönste Pflicht des Jahres. Das hat ihn ausgezeichnet, ein Leben lang: Es wurde gearbeitet und es wurde gelacht, von Herzen.
Rudi Kansy, der heute seinen 85. Geburtstag feiert, hat 1941 sein Abitur gemacht. Aus dem Krieg kehrte er 1945 schwer verletzt zurück. Potsdam wurde seine zweite Heimat. Er arbeitete bei der damaligen Landesregierung Brandenburg, machte später sein Staatsexamen als Musikpädagoge an der Musikhochschule in Weimar und wechselte dann als Dozent an das Institut für Lehrerbildung in Potsdam. Von 1958 bis 1982 war er Musiklehrer am Humboldt-Gymnasium. Kansy leitete in seinen 37 Berufsjahren verschiedene Chöre Potsdams, darunter den DEFA-Chor Babelsberg und den Hans-Marchwitza-Chor. Er komponierte Lieder, spielte Klavier und übertraf sich selbst noch mit dem Akkordeon. Seine Auftritte sind ungezählt. Rudi Kansy war immer da, wo seine Musik gebraucht wurde: bei Musiktherapien im Heinrich-Heine-Sanatorium, nach Arbeitseinsätzen auf Baustellen, bei Jugendweihe-Feiern und Veranstaltungen für ältere Bürger, beim Weihnachtsliedersingen am Heiligen Abend im damaligen Bezirkskrankenhaus. Für seine musikpädagogische und künstlerische Tätigkeit wurde Kansy mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht.
Viele von Kansys ehemaligen Chorkindern haben beruflich Karriere gemacht und sind inzwischen selbst ergraut. Er hat ihren Weg verfolgt und hält mit einigen Kontakt. Diejenigen, die es nicht in alle Welt gezogen hat, treffen sich manchmal mit ihm. Und erinnern sich. Rudi Kansy ist interessiert. Seine Kommentare wärmen das Herz. Manchmal singen sie zusammen. Und manchmal wird auch das Fenster geschlossen. Nicht wegen der Beatles. Schon gar nicht wegen Kansy. Wie er da singt mit schöner klarer Stimme, durch und durch Ästhet und mit vor Schalk blitzenden Augen, weiß man: DAS ist sein Leben. Sabine Kotsch
Sabine Kotsch
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