Kultur: Von Babel zu Beethoven
Furioses Saisonende des Neuen Kammerorchesters
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Mit Igor Strawinskys knapper Kantate über den Turmbau von Babel begann die 5. Saison des Neuen Kammerorchesters Potsdam. Schillers Ode „An die Freude" und Beethovens Musik, die im letzten Konzert am Donnerstagabend erklangen, bilden dazu einen rechten Gegenpol. Von der babylonischen Sprachenverwirrung zur humanistischen Utopie: Dort der strafende Gott des Alten Testaments, der von den eitlen Menschen Unterwerfung fordert; hier die Menschen, die versuchen, mit den Werten der Aufklärung die Welt zu verbessern. Gott erscheint nur mehr als weit entfernter „unbekannter Schöpfer überm Sternenzelt“ und hat nicht mehr viel zu sagen. Schillers Text ist ein reizvolles Märchen für Erwachsene, eine „Meta-Erzählung“, die zusammen mit Beethovens Musik auch immer gern in Diktaturen gespielt wurde, aber bis heute wirksam blieb. Dies beweist nicht zuletzt die Ernennung des letzten Satzes der 9. Symphonie zur Europahymne im Jahr 1985.
Doch das Neue Kammerorchester zeigte mit seinem klug zusammen gestellten Programm, dass zwischen Strawinskys archaischer Strenge und Beethovens hymnischer Euphorie noch andere Möglichkeiten existieren. Die Musik des zeitgenössischen Komponisten Arvo Pärt ist derzeit wohl das beste Bindeglied zwischen Vergangenheit und Moderne, Gläubigkeit und Nichtglaube, Zeit und Zeitlosigkeit. Wie ein roter Faden zog sich Pärts Musik durch das Saison-Programm – von den „Wallfahrtsliedern“ bis zu „Orient & Occident“ im jetzigen Konzert.
In diesem kurzen Werk für Streichorchester verbinden sich typische Klänge aus abendländischer und morgenländischer Musik zu einfallsreicher Synthese. Die sehr gut aufgelegten Streicher des Neuen Kammerorchesters schufen unter der Leitung von Ud Joffe irisierende Klangfarben, sagen und tremolierten in vielen Nuancen. Arabische Melismen und Dreiklangsharmonien leuchten ebenso schnell auf wie sie sich wieder auflösen. Pärt widmete das Stück nachträglich der ermordeten russischen Menschenrechtsaktivistin und Kämpferin für die Pressefreiheit, Anna Politkovskaja. Besser könne der musikalische Diskurs der fünften Saison über „Mensch – Macht – Musik“ nicht enden, heißt es dazu im Programmheft des Neuen Kammerorchesters.
Nahtlos folgt der erste Satz der Neunten Symphonie mit seinem schönen Aufruhr der einzelnen Instrumente, fast durchgehend in mittlerer bis lauter Klangstärke, die fragmentarischen Motive plastisch modellierend. Etwas hastig gerät der zweiten Satz zu Beginn, prägnant grundiert von den Bläsern, erst bei der Wiederholung agiert das Orchester organisch und verströmt konzentriert Melodie und Rhythmus. Dem Adagio fehlt ein letztes Quentchen für den perfekte elysischen Klang, gleichwohl wartet es mit schönen Tönen auf, und brilliert mit Klarinette und Oboe sowie der großartigen Paukenspielerin. Die vier Solisten, Antje Perscholka, Sopran, Regina Jakobi, Alt, Daniel Sans, Tenor, und Roland Hartmann, Bass, überzeugen zu großen Teilen. Doch alles überragt der Neue Kammerchor, der durch einige befreundete Choristen verstärkt wurde, so dass man auf 21 Herren und 19 Damen kam. Das ergab eine wohl phrasierte, fein nuancierte und artikulierte Darbietung. Der Enthusiasmus der Sänger verlieh dieser Aufführung eine sehr individuelle, menschliche Note – einen passenderen Abschluss für diese Saison hätte es kaum geben können.
Babette Kaiserkern
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