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Kultur: Von barocken Ausschweifungen bis zur Minimal Music

Sinfonietta Potsdam und Campus Cantabile der Universität und Solisten mit „Ein Glass Rameau, Reich gefüllt“ im Nikolaisaal

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Die Konzerte von Chor und Orchester der Universität Potsdam sind immer gut für Entdeckungen und Überraschungen. Erneut bereicherte die Auswahl von Universitäts-Musikdirektor Kristian Commichau am Montag im Nikolaisaal das Potsdamer Konzertleben jenseits von üblichen Programmen. Im ersten Teil gab es eine veritable Operngala à la Rameau, anschließend erklangen mit Werken von Steve Reich und Philipp Glass starke Prisen moderner Musik. Doch auch Rameau war zu seiner Zeit ein Avantgardist, der neue Maßstäbe setzte. Als Komponist stand er auf einem Rang mit seinen Zeitgenossen Bach und Händel. Der Hofkomponist von Ludwig XV. kreierte zahlreiche Opern im tragischen, lyrischen oder heroischen Genre sowie die bei Hofe besonders beliebten Ballett-Opern. Abwechslungsreiche Kostproben aus vier dieser Opern erfüllten sowohl die pädagogischen Ziele des Unternehmens als auch den Wunsch nach musikalischer Klangpracht. Dazu trugen nicht zuletzt eigens berufene Sänger und Sängerinnen bei. Eher schlichte, aber auch anspruchsvolle Tanzsätze stehen neben prunkvollen Chören und pathetischen Arien.

Die vom Chor eingerahmte Tenorarie (Volker Arndt) „C’est de Dieu“ aus der Tragödie „Les Boreades“ liefert ein strahlendes Beispiel dafür. Wie raffiniert Rameau komponiert hat, zeigt sich bei einem Entree, in dem die Instrumente eben nicht alle auf einmal einsetzen, sondern gruppenweise nacheinander, doch innerhalb derselben Phrase. Als das nicht gleich klappt, lässt Dirigent Commichau die Sinfonietta zunächst einmal im Pizzicato spielen – eine kleine Lehrstunde auf der Bühne. Lebensfreude pur verströmt die Arie „Jouissons de nos bons ans“, auch wenn der prächtige Campus-Cantabile-Chor ein bisschen die zarte Stimme von Countertenor Jonny Kreuter übertönt. Anrührend und stimmungsvoll erklingt das berühmte Lamento „Tristes apprêts“, das von Sopranistin Christina Roterberg aus dem Stand heraus glänzend vorgetragen wird. Rameau, dem ja oft kaltes Kalkül beim Komponieren vorgehalten wurde, zeigt sich als Schöpfer ausdrucksvoller Affekte. Die schauerliche Bass-Arie „Monstre affreux“ oder die züngelnden Flammen der Violinen im höllischen Rachechor geben dafür lebhafte Beispiele. So richtig galant, wie das Stichwort der Epoche lautet, wird es erst bei den „Indes Galantes“, einer Ballettoper, die mit zärtlichen Klängen den Sieg der Liebe über den Krieg preist. Gekrönt wird diese paradiesische Idylle von der lieblichen Arie „Musettes, résonnez“ (Sopran: Carolin Wanjura) und dem ergreifenden Sonnengesang „Clair flambeau“, dem Matthias Vieweg, Bass, und der Campus Cantabile innigen Ausdruck geben.

Nach der Pause erläutert Werner Beidinger, Leiter der Elementaren Musikpädagogik, charmant die Kompositionsmethoden des Minimalismus, bevor die sechsköpfige Gruppe Bodydrums die „Clapping Music“ von Steve Reich vorführt, inklusive einer Aufforderung ans Publikum, den Rhythmus mitzuklatschen – was bei den vielen jungen Zuhörern gut ankommt. Cool klingen zwei Marimbas, auf denen Bringfried Löffler und Jacob Ahrens ein weiteres Stück von Steve Reich mit subtilen rhythmischen Verschiebungen zur Gehör bringen. Soghafte, nervöse Schwingungen ziehen die Hörer beim ersten Violinkonzert von Philipp Glass in Bann. Diesem verteufelt schwierigen Stück verleiht Thomas Kretschmar, Violinist der Kammerakademie Potsdam und Dozent an der Universität, flirrende, feinsinnige Präsenz. Großer Beifall für einen langen, interessanten und prachtvollen Musikabend im Nikolaisaal. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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