Kultur: Von „Chimborazo“ nach Sarayacu
Ein Rainer-Simon-Abend mit Fotos, Film und Lesung im „al globe“
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Ein Rainer-Simon-Abend mit Fotos, Film und Lesung im „al globe“ Europa ist weit, von Ecuador aus gesehen, von Quito, von der Provinzhauptstadt Puyo, wo man in 25 Flugminuten Sarayacu im Urwald erreicht, auf der Ostseite der Anden. Ecuador ist nah, von Potsdam her, dem Wohnort des Filmregisseurs und Autors Rainer Simon – wenn er nicht gerade in Südamerika weilt, seiner Liebe im Fernen, was beinahe jedes Jahr geschieht. Ein Filmlexikon aus alten Tagen bescheinigt dem 1941 in Hainichen geborenen Künstler „hohes handwerkliches Können“. Er drehte 1975 „Till Eulenspiegel“ mit Winfried Glatzeder, acht Jahre später „Das Luftschiff“, ohne eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Kurz vor dem Mauerfall war er an einem gesamtdeutschen Projekt in Sachen des Weltforschers Alexander von Humboldt beteiligt, und mit dem daraus entstandenen Film „Die Besteigung des Chimborazo“ (1988/89) begann auch seine anhaltende Liebe zu Südamerika, dem Kontinent, von dem Hegel sagt, hier sei alles noch zart und im Werden, nicht so kräftig und stark wie in der alten Welt. Der Mauerfall machte das Werk „uninteressant“. Heute ist dieser Kontinent, ein Unbill von sozialen Extremen, brachialer Ausbeutung und Gewalt – kaum der öffentlichen Aufmerksamkeit wert. Die Quichua-Indianer etwa kämpfen seit vielen Jahren fast unbemerkt gegen die Macht von Ölmultis, welche im Gespann nordamerikanischer „Evangelisten“ (à la Bush) an die Rohstoffe ihres alten Siedlungsgebietes im Nordosten Ecuadors heran wollen. Obwohl die von Simon in Wort, Bild und Film dokumentierte Zerstörung ihrer Kultur augenfällig ist, versuchen sich die Indios mit dem „Fortschritt“ zu arrangieren: In seinem mit Kameramann Frank Späth und dem Gastdarsteller Christian Kuchenbuch 2001 realisierten Film „Der Ruf des Fayu Ujmu“, worin mit indianischen Darstellern eine uralte Legende des Urwaldes nacherzählt wird, tragen die Indios T-Shirts, der Schamane raucht US-Zigaretten, ein Kind zieht ein Plastic-Spielzeug hinter sich her. Hauptdarsteller Mico, welcher dem Ruf des seelenfressenden Vogels erlag und nur mit Hilfe der ganzen Dorfgemeinschaft ins Leben zurückgerufen werden kann, ist inzwischen selbst Besitzer einer Filmkamera. Der geisterhafte Unglücksvogel aber wird nicht unrechtens als westlicher Tourist des „American way of live“ dargestellt: Er verschenkt in Menschengestalt Luftballons und verteilt US-Brause. Authentischer vielleicht als dieser „scheinindogene“, weil von Indios (halbdokumentarisch) nur nachgestaltete Film, der am Donnerstag im al globe zu sehen war, ist die aus etwa 40 Bildern bestehende Foto-Serie im ersten und zweiten Geschoss, „Die Fiesta von Sarayacu“ genannt. Hier zeigt Simon vor allem Porträts und Gesamtaufnahmen des „halbzivilisierten“ Stammes bei der Traditionspflege: Krieger ziehen noch einmal für zwei Wochen in den Wald, um zu jagen, sie kehren zurück mit Gürteltieren, Affen, wilden Schweinen und anderem Getier, um ihrem Jagdgeist Amazanga zu danken und zugleich Yuri Yuri, Herr aller Tiere, zu besänftigen, gemeinsam zu essen, zu zechen, zu danken. Die titellosen Bilder sind von nur einem Informationstext begleitet, sie sprechen selten für sich. Al globe versteht diese bunten Schnappschüsse ja auch nicht als „ordentliche“ Ausstellung, man setzt eher auf die Besucher anderer, musikalischer Veranstaltungen. Simon las für etwa 20 Besucher aus seiner Autobiographie „Fernes Land“ (2005) und dem zeitgleich erschienenen Roman „Regenbogenboa“. Ob Aussteiger oder Fernwehler, der Regisseur und jetzige Rentner hat jedenfalls nach 1990 in Deutschland nicht mehr richtig Fuß gefasst: „Keine Lust, mein Geld mit billigen Serien zu verdienen“, sagte er in der wenig lebhaften Diskussion. Na ja, Alexander von Humboldt hat den Chimborazo ja auch nicht ganz erstiegen. Die Ausstellung ist bis Anfang Juli Mo - Fr von 10 bis 17 Uhr zu sehen
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