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Kultur: Von Christa Wolf geadelt Carsten Wist erinnerte an eine legendäre Lesung
Einen Abend über Christa Wolf mit dem Song „Oh Carolina“ von Shaggy einzuleiten, ist zugegebenermaßen mehr als sonderbar. Denn klar fragt man sich bei den poppigen Reggae-Klängen, was diese mit der berühmten DDR-Schriftstellerin zu tun haben.
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Einen Abend über Christa Wolf mit dem Song „Oh Carolina“ von Shaggy einzuleiten, ist zugegebenermaßen mehr als sonderbar. Denn klar fragt man sich bei den poppigen Reggae-Klängen, was diese mit der berühmten DDR-Schriftstellerin zu tun haben. Die Antwort ist dann aber ganz simpel: Der Song war 1993 ein Hit, also genau in dem Jahr, in dem Christa Wolf nach ihrem neunmonatigen USA-Aufenthalt das erste Mal wieder in Deutschland, genauer gesagt in Potsdam, las.
Organisiert hatten dieses Ereignis die beiden damals noch jungen Buchhändler Carsten Wist und Siegfried Ressel. Den beiden setzte Christa Wolf mit einem entsprechenden Eintrag in „Ein Tag im Jahr“ am 27. September auch gleich ein literarisches Denkmal. Dort heißt es unter anderem: „Da kommen die beiden Buchhändler, die den Abend veranstalten, W&R, sie sind noch jünger, als ich sie mir vorgestellt hatte, der eine hat einen kahlen Schädel, eine runde Nickelbrille und einen schmalen schwarzen Schal um den Hals geknotet, der andere, sein Freund und Kompagnon, trägt eine Lockenmähne, natürlich pflegen beide den Jeans-und Lederjackenstil und sind sehr bereit, uns ihre Geschichte als Buchhändler zu erzählen, während sie genussvoll ihr Bier trinken.“ Ausführlich beschreibt Christa Wolf dann den Werdegang der Buchhändler, und auch wenn das ein oder andere Detail nicht ganz stimmt, schleicht sich noch heute ein stolzes Lächeln in Carsten Wists Gesicht, wenn er diese Zeilen liest. So auch am vergangenen Montagabend, den er in der Geburtstagsreihe „25 Jahre Literaturladen – die Retrospektive“ ganz dem hohen Besuch von damals widmete.
Er und Ressel, so Wist, hätten erst im Jahr 2003, kurz vor Erscheinen des Buches „Ein Tag im Jahr“, von dem Eintrag erfahren. Als er ihn dann schließlich selbst gelesen hatte, dachte er kurz: Das wäre ein guter Moment um aufzuhören. „Wir sind von Christa Wolf zum Denkmal gemacht worden und dafür sind wir ihr natürlich unglaublich dankbar.“
Die Situation damals war sehr angespannt, keiner wusste, wie die Schriftstellerin nach ihrer Rückkehr aus den USA und den immer noch in der Luft schwebenden Stasi-Vorwürfen von den Leuten aufgenommen würde. „Wir haben den Besuch deswegen nicht an die große Glocke gehängt, sondern nur einer Handvoll Leute davon erzählt.“ Es sprach sich dann aber von ganz alleine herum und letztendlich seien achtzig Prozent der Leute auch totale Fans gewesen, wetternde Gäste gab es gar nicht. Auch Wolf selbst sei danach erleichtert gewesen. Wist selbst hält es auch für falsch, die Schriftstellerin allzu sehr auf ihre Stasi-Tätigkeit zu reduzieren, dazu sei ihre literarische Bedeutung viel zu hoch. Für ihn ist sie vor allen eine Autorin des Fragens gewesen, die sich ihr Inneres herausgerissen und in ihre Werke gesteckt hat. Ihr „Sommerstück“ etwa ist ein Buch, das Wist wie kaum ein anderes bewegt hat. „Ihre Sätze waren schwere literarische Wirkungstreffer.“ Nicht immer habe er – und das Publikum am Montag schloss sich dem an – gewusst, wie er mit der zum Teil sehr verschachtelten, komplizierten Sprache umgehen sollte, die in ihren politischen Aussagen doch oft schwammig blieb. Und auch wenn er und die Gäste am Montag nicht ganz beantworten konnten, was von Christa Wolf heute noch bleibt, sei sie, so Wist, aus seinem persönlichen Kanon nicht mehr wegzudenken. Sarah Kugler
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