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Zu viel Testosteron. Wenn sechs Kerle so selbstbewusst daherkommen, liegt Ärger in der Luft. Da kommen auch Lennie (Florian Schmidtke, l.) und George trotz beschwichtigender Geste (Axel Sichrovsky, 2.v.l.) nicht dran vorbei.

©   HL Böhme

Kultur: Von Cowboys und Kaninchen

„Von Mäusen und Menschen“ wird im Hans Otto Theater zur mitreißenden Western-Parodie

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Das war zunächst nichts für Ungeduldige, kurz vor der Premiere, mit diesem ermüdenden Zirpen aus den Lautsprechern – und niemand kam auf die Bühne, um die Erlösung zu bringen. Auf was wurde denn da eigentlich gewartet? Doch als es endlich losging, war man sofort gefangen in diesem Stück, das durch ganz viele musikalische Elemente großartig zusammengehalten wurde. Und musikalisch war schon der Einstieg: George (Axel Sichrovsky) trommelte auf einem Strohballen herum, und diese Percussion begleitete Lennie (Florian Schmidtke) auf der anderen Seite der Bühne sitzend mit einem Wasserkanister, aus dem er große Schlucke nahm und spuckte und gurgelte – bis er von dieser Fontäne von oben bis unten nassgesabbert war. Dieser wortlose Einstieg war schon mal ziemlich effektiv.

Steinbecks 30er-Jahre-Novelle „Von Mäusen und Menschen“ gilt nicht nur als Klassiker, sondern bereits als geflügeltes Wort. Es ist der „American Dream“, auf den sich die Handlung zentriert, der Traum von einem besseren Leben, eine Utopie geradezu, die wie so oft nur scheitern konnte. George und Lennie sind als Landarbeiter unterwegs; sie verbindet eine ungewöhnliche Freundschaft, die allerdings nicht auf Gleichberechtigung basiert, was auch im Stück schnell klar wird: George ist der Dominante unter den beiden, er entscheidet, erpresst gar – und Lennie, von Florian Schmidtke in einer beeindruckend-kindlichen Naivität verkörpert, ordnet sich bereitwillig unter. Doch sie haben ein Ziel: ein gemeinsames Stück Land, symbolisch für die Unabhängigkeit, und für Lennie ganz besonders wichtig: Kaninchen. Und doch wird es ihnen wie so vielen gehen; es gibt kein Land für sie, es bleibt bei einem Traum, und das Scheitern wird umso gnadenloser.

Die Protagonisten sind die Mäuse unter den Menschen, verschwindend klein und bedeutungslos, auch wenn die Mäuse und eben die Kaninchen einen besonderen Stellenwert in der Handlung besitzen: Für den debilen Lennie sind Tiere eine Zuflucht, quasi Objekte der Begierde, auf welche er sich versteigt, die er berühren muss, weshalb gerade die Kaninchen für ihn das utopische Zentrum ausmachen. Doch sein Vorteil ist auch sein Nachteil: Er ist zu stark, und nicht immer in der Lage, diese physische Überlegenheit zu kontrollieren, weshalb ihm alles unter den Händen zerbricht: die Maus, der Hund, und letztlich auch der Mensch. Dabei will er doch nichts Böses, ist sogar verängstigt vor den Konsequenzen seines Handelns. Nein, „so ein Kerl muss nichts in der Birne haben, um ein guter Kerl zu sein“, wie Landarbeiter Slim (Eddie Irle) treffend konstatiert.

So tragisch diese Geschichte auch ist, so mitreißend komisch wird sie vom Hans Otto Theater inszeniert: Regisseur Niklas Ritter lässt seine Schauspieler pulsierend lebendig auftreten, sodass das Stück an wirklich keiner einzigen Stelle eine überflüssige Länge aufweist. Die Erzählweise ist derart dicht und stringent, dass selbst Pausen in der Handlung minutiös austariert wirken. Und ganz viel Herzblut fließt in die musikalische Untermalung (Tilman Ritter), welche die plakative Western-Saloon-Atmosphäre (Bühnenbild: Bernd Schneider) nach oben schaukelt; am Klavier lässt Christian Deichstetter die Finger wirbeln, während Elzemarieke de Vos sich auf dem Instrument rekelt und mit kokettem Augenaufschlag ihre schmissigen Stücke singt. Sie hat als das namenlose „Mädchen“ die Funktion, die testosterongeschwängerte Luft weiter anzuheizen – ist dadurch gleichzeitig Auslöser als auch Opfer der unabwendbaren Katastrophe.

So profitiert das Stück von einer Heiterkeit, die absurderweise nie als unpassend empfunden wird. Beeindruckend, mit wie viel Freude am Experiment sich ausgetobt wird, beispielsweise im Puppenspiel: Der alte, blinde, nach Scheiße stinkende Hund, den der alte Candy (Peter Pagel) mit sich führt, ist ein lebendig wirkender Wischmob als Marionette. Oder die detailverliebte Inszenierung der Prügelei, die mit ihrer Dialog-Slowmotion-Freeze-Abfolge so mitreißend witzig wirkt, dass man Tränen lachen könnte. Doch dieses leichtfüßige Voranschreiten hat natürlich den Zweck, die Eindringlichkeit zu potenzieren – das Tragische kommt doch im Komischen immer am besten zur Geltung. Und auch hier sind es die kleinen, zwischen den Zeilen versteckten Töne, die einen gemahnen, dass sich doch eine Katastrophe anbahnen muss; und diese kommt, tödlich und in der Symbolik der Kaninchen. Diese Kaninchen verheißen dabei gleichwohl Utopie als auch Katastrophe: Der „Nigger“ Crooks (Eddie Irle in einer Doppelbesetzung) wird in seiner Darstellung zu einem animalischen Geschöpf in einem Hasenkostüm, und im Finale löst sich das Stück in derselben Maskerade auf, die Lynchjustiz wird durch an den Ku-Klux-Klan mahnende Kaninchenmasken verstärkt.

Viel zu schnell findet die Inszenierung ihr Ende, kaum dass man sich an ihren unwiderstehlichen Sog klammern konnte: Nach nicht einmal anderthalb Stunden kommt es zum befürchteten, aber nicht erwarteten Knall, der einen atemlos-fasziniert auf dem Sitzplatz verharren lässt. Eine wunderbare, mitreißend-gelungene Inszenierung eines Klassikers; mehr ist aus der Steinbeck-Vorlage kaum rauszuholen. Respekt!

Wieder am Freitag, 25. Januar, 19.30 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 118

Oliver Dietrich

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