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Kultur: „Von den Unterschieden lernen“

Dr. Martin Schaad vom Einstein Forum über die Tagung zum Potsdamer Abkommen

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Dr. Martin Schaad vom Einstein Forum über die Tagung zum Potsdamer Abkommen Das Einstein Forum veranstaltet heute, einen Tag vor dem 60. Jahrestag des Beginns der Potsdamer Konferenz, eine internationale Tagung (heute ab 9.30 Uhr im Einstein Forum. Neuer Markt 7). Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Demokratisierung Westdeutschlands als Folge des Abkommens als Vorbild für die heutige Demokratisierung anderer Staaten gelten kann. Die Tagung wird am Montag mit einem Festakt im Schloss Cecilienhof mit Beiträgen von Hans Magnus Enzensberger und Michael Walzer beendet. Die PNN sprachen mit Dr. Martin Schaad vom Einstein Forum. Das Protokoll von Potsdam steht nicht nur für Demokratie in Westdeutschland, sondern besiegelte am 2. August 1945 in erster Linie die Aufteilung Mitteleuropas, in Ostdeutschland folgte eine Diktatur. Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die man im Umfeld der Potsdamer Konferenz betrachten könnte, nicht nur die Teilung Europas. Man könnte die Konferenz auch als Beginn des nuklearen Zeitalters bezeichnen, schließlich unterrichtete Truman nach dem Atombombentest Stalin in Potsdam davon, dass man diese Waffe einsetzen werde. Man kann auch von der Teilung Deutschlands und der neuen Definition der Grenzen Polens sprechen. Es gab viele Veranstaltungen, die das Potsdamer Abkommen historisch betrachtet haben, nicht zuletzt die des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung vor drei Wochen. Das Einstein Forum will nun einen ganz anderen Aspekt herausheben: Potsdam als Platzhalter für Demokratisierung in Westdeutschland. Der Beitrag von Prof. Konrad Jarausch wird sich darüber hinaus speziell mit Ostdeutschland und der Demokratisierung 1989/90 beschäftigen. Welches Ziel verfolgt die Tagung? Wir wollen untersuchen, inwieweit die westdeutsche Nachkriegsentwicklung tatsächlich heute noch als Beispiel für Demokratisierungen gelten kann, etwa im Irak oder Afghanistan. Die Bush-Regierung verweist dabei gerne auf die westdeutsche Entwicklung. Trägt diese Analogie? Genau das werden wir heute hinterfragen. Auf den ersten Blick würde man sagen, was den Einsatz von Truppen und einer Übergangsregierung angeht, könnten sich formal Ähnlichkeiten ergeben. Ein weiterer Vergleich landet aber schnell bei den kulturellen Bedingungen, der kulturellen Nähe zwischen dem zu demokratisierenden Land und dem „Demokratisierer“. Die Frage nach demokratischen oder zumindest rechtsstaatlichen Erfahrungen des Landes stellt sich. Vergleich bedeutet aber nicht, dass die Dinge gleich sein müssen. Man muss von den Unterschieden lernen. Es geht also nicht um Gleichsetzung? In diesem Fall würde ich sogar vor einer Gleichsetzung warnen. Der Rhetorik der Bush-Regierung kann man allerdings vorwerfen, dass sie die verschiedenen Demokratisierungen gleich setzt. Wenn man sagt, dass die kulturelle Nähe des zu demokratisierenden Landes und des „Demokratie-Bringers“ unbedingt gegeben sein muss, würde sich der Fall Irak maßgeblich vom Fall Deutschland unterscheiden. Es lohnt sich aber auch, nach anderen Beispielen zu suchen. Daher haben wir Ian Buruma eingeladen, der uns etwas von Japan erzählt. Auch dort gab es eine erfolgreiche Demokratisierung, obwohl die kulturelle Nähe zwischen den USA und Japan 1945 nicht sehr groß war. Wir haben uns für die Tagung vorgenommen, Unterschiede herauszuarbeiten, aber nicht gleichzusetzen. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte spielen bei der Demokratisierung also eine Rolle? Eine sehr große sogar. Etwa auch, auf welche Traditionen man in einem Land trifft. Gleichzeitig ist aber auch das Engagement des jeweiligen demokratisierenden Landes von großem Interesse. Im Fall Deutschland haben wir etwa den Marshall-Plan, ohne den die Demokratisierung nicht so erfolgreich verlaufen wäre. Gewisse Lehren kann man aus dem Beispiel Deutschland also ziehen. Wichtig ist etwa, wie stark man die Länder in multilaterale Sicherheitskonzepte einbindet und wie viel Geld man dafür ausgibt. Auch solche Erkenntnisse lassen sich aus einem Vergleich ziehen. Vergleicht man Deutschland und den Irak gibt es auch einen Unterschied in der Vorgeschichte, die Weimarer Republik war zumindest schon ein Versuch der Demokratie. Es lässt sich so einfach sagen, im Irak gäbe es keine demokratischen Traditionen. Was nicht stimmt, auch im Irak gab es Vorläufer der Demokratie. Es gab dort auch Versuche unter den Briten, das Land zu demokratisieren. Die sind zwar gescheitert, aber rechtsstaatliche Strukturen gab es bereits. Wir haben zu unserer Tagung einen Irak-Kenner eingeladen, Hussain Al-Mozany aus Köln, der dies näher ausführen wird. Prof. Heinrich August Winkler, der sich bei uns mit der westdeutschen Entwicklung beschäftigt, wird vor allem die Anknüpfungspunkte an demokratische Traditionen in Deutschland als Voraussetzung einer erfolgreichen Demokratisierung nennen. Irak und Afghanistan sind sehr stark religiös geprägte Kulturen, was Deutschland 1945 nicht war. Sicherlich. Deshalb steht auch ein Fragezeichen hinter dem Titel der Tagung „Paradigma Potsdam?“ Vielleicht muss man für Irak und Afghanistan jeweils andere Paradigmen finden. Vielleicht sollte man hier auch auf die Erfahrungen in Bosnien schauen, als Versuch der Demokratisierung eines ethnisch fragmentierten und durch extreme Konflikte aufgeladenen Landes. Man muss aus allen möglichen Fällen der Demokratisierung von außen Beispiele heranziehen. Von der deutschen und japanischen Erfahrung kann man vielleicht mitnehmen, wie viel Geld man dafür ausgeben und wie lange man wie viele Truppen stationieren muss. Sofern es sich um ein religiös oder kulturell fragmentiertes Land handelt, muss man auch sehen, was sich aus Erfahrungen in Bosnien oder vielleicht auch ganz negativen Erfahrungen in Somalia lernen lässt. Sie betrachten die Debatte in den USA. Ich vergleiche die öffentliche Diskussionen in den USA über das Nachkriegsarrangement für Deutschland 1943 bis 45 und dem Irak 2003. Man kann natürlich über die vielen ökonomischen, politischen, kulturellen und religiösen Voraussetzungen der zu demokratisierenden Länder nachdenken. Doch es macht einen massiven Unterschied, welche Motivation das demokratisierende Land hat. Da es sich dabei in der Regel selbst um Demokratien handelt, werde ich die öffentliche Diskussion beleuchten. Ihr Fazit? Der Verweis auf die Erfahrung in Japan und Deutschland ist in der Diskussion 2003 eher eine rhetorische Figur als ein tatsächliches Untersuchen der Zusammenhänge, die dort zu einem Erfolg geführt haben. Das Ziel der Demokratisierung spielt in den USA eher eine untergeordnete Rolle. Bei den Motivationen gibt es sicherlich große Unterschiede. Sehr große. Gerade 1945 in Deutschland hatte der Erfolg dieser Unternehmung größere geostrategische Bedeutung. Die USA hatten ein großes Interesse an der Demokratisierung Westdeutschlands, um im herannahenden Kalten Krieg erstens ein Bündnispartner zu haben und zweitens ein Beispiel zu setzen. Die Frage, inwieweit das bei dem US-Engagement im Irak trägt, würde ich eher negativ beantworten. In Deutschland gab es auch wirtschaftliche Aspekte. Sicherlich, da Deutschland als Motor des europäischen Nachkriegsaufschwungs unersetzlich war; dieser Aufschwung war auch für die USA von großer Bedeutung. Beim Irak geht es weniger um ökonomische Aspekte? Ich glaube nicht, dass die Motivation in den USA zur Demokratisierung im Irak so weit geht. Das Setzen eines unilateralen Beispiels ist hier vielmehr die Motivation, was sich in den Diskussionen der Neokonservativen um die Behandlung der so genannten „Schurkenstaaten“ niederschlägt. Spielt auch die Stabilisierung der US-Regierung eine Rolle? Im Wahljahr 2004 ganz sicher. Ob das heute noch trägt, wage ich aber sehr zu bezweifeln. Das Interview führte Jan Kixmüller.

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