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Kultur: Von der Liebe wurde nicht erzählt Auftakt der Reihe „Im Garten vorgelesen“

Das Ehepaar Anne und Lutz Andres ist im Generalplan von Uranias „Im Garten vorgelesen“ schon seit Jahren eine feste Größe. Nicht nur, weil der Besucher bei ihnen daheim ein bisschen Russische Kolonie im Original schnuppern darf, hier gibt es auch einen weitläufigen Garten, der mit seiner unglaublichen Vielzahl seltener Obstgehölze jedes Gärtnerherz erfreuen muss.

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Das Ehepaar Anne und Lutz Andres ist im Generalplan von Uranias „Im Garten vorgelesen“ schon seit Jahren eine feste Größe. Nicht nur, weil der Besucher bei ihnen daheim ein bisschen Russische Kolonie im Original schnuppern darf, hier gibt es auch einen weitläufigen Garten, der mit seiner unglaublichen Vielzahl seltener Obstgehölze jedes Gärtnerherz erfreuen muss. Was fehlte in dieser urwüchsigen Anlage eigentlich, wo man so gut wie alles findet: Kartoffel und Kohl, Thymian und Salbei, Fenchel und Rote Beete, Rose und Wiesenknopf nahe der Rhabarberweide, dazu Wild- und Kulturblumen in vollster Harmonie nebeneinander. Hier zahlen die Jahre sich aus.

Zur Gartenlesung am Sonntag wurden Schneisen ins saftige Hochgras gemäht, am Ende ein Schild aus Pappe „Hier ist Schluß“ mit der Hausnummer 12, Zäune gibt’s im Areal ja nirgendwo. Der gute alte Lenné dachte sich schon etwas dabei, als er 1825 im Auftrag Friedrich Wilhelm III. dieses bezaubernde Dankeschön an Zar Alexander entwarf. Die Obstbäume, erklärte der Hausherr vorab, wurden damals ganz absichtsvoll in preußischer Geradlinigkeit gesetzt, damit die 21 russischen Sänger-Kolonisten und deren Nachmieter gar nicht erst auf die Idee kämen, etwas nach eigenem Willen hierhin oder dorthin zu pflanzen. Wo käme man denn auch hin, wenn jeder machte, was er will. Wer durch diesen fast vollkommenen Bauerngarten (weder die derzeitige Unkrautinvasion noch die arge Schneckenplage ändern etwas daran) geht, schaut durch Lernen, lernt durchs Schauen. Den alten Goethe hätte es gefreut.

Vom eigentlichen Anlass des bildungsbürgerlichen Kommens, der Lesung von Tschingis Aitmatovs Erstlings-Erzählung „Dshamilja“, lässt sich das freilich nicht sagen. Mochte der französische Autor und Kommunist Louis Aragon das 1958 erschienene Werk auch für die „schönste Liebesgeschichte der Welt“ gehalten haben, die Lesung der Schauspielerin Simone Kabst löste davon nichts ein. Sie ließ die Amourette zwischen der bereits verheirateten Titelheldin und dem verwundeten Frontsoldaten Danijar im Kriegsjahr 1943 geradezu ausfallen. Die erste Lesestunde galt der Einführung ins Geschehnis irgendwo in kirgisischer Landschaft, bis man im Publikum leicht ermüdet fragte, wo denn nun die angekündigte Liebe bliebe. Man wurde auf den zweiten Teil vertröstet. Nach der Pause führte die Vorleserin das Publikum immerhin schon mal bis zur ersten zarten Andeutung einer Liebesbeziehung heran. Als es nach zwei Stunden endlich zu knistern begann, war Schluss, da wurde einfach „abjeblendt“. „Lesen Sie’s fertig, empfahl Simone Kabst der überraschten Zuhörerschaft. Das ist so, als wenn man beim Bäcker Brötchen holen will und der gibt einem Teig mit dem Rat, doch gefälligst selber zu backen. Auch ihre Begründung war überaus lustig: die Szene mit der Liebeserklärung sei ihr – bei diesem gestandenen Publikum? – zu intim vorgekommen, und überhaupt wollte sie absichtlich etwas offen lassen. Dabei waren es gerade mal noch 20 Seiten bis zum Finale, die hätte man auch noch durchgestanden! Kurzum, sie machte es halt, wie sie wollte.

Viel Landschaft also, viel Kolorit und Zeitgeschehen, aber nix mit Dshamilja und dem verschlossenen Danijar – einen Text sinnvoll zu kürzen, ist eben auch eine Kunst. Die gebürtige Kirgisin Elena Lutz begleitete diese verunglückte Lesung unterm alten Walnussbaum mit teils kraftvollen, teils lyrischen Kompositionen von Nagim Mendygaliev, Aydar Gaynullin, Eugen Doga und anderen auf einem Bajan genannten Akkordeon. Gerold Paul

Gerold Paul

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