Kultur: Von der Unberechenbarkeit der Liebe
Der niederländische Autor Arnon Grünberg im Literaturladen Wist
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Jean Baptist Warnke ist mit sich zufrieden. Das Schicksal hat es gut mit ihm gemeint. Dies geht ihm gerade durch den Kopf, als der junge Schuhputzer seine neuen Schuhe zum Glänzen bringt. Er hat eine attraktive Frau, auch wenn sie etwas zu dünn ist, und zwei bezaubernde Töchter. Warnke hat es zum zweiten Mann der niederländischen Botschaft in Lima geschafft und seiner weiteren Karriere steht eigentlich nichts mehr im Wege.
Er ist ein geborener Diplomat schon seines Namens wegen. Außerdem ist er geduldig und ausgeglichen. Nein, er kritisiert nichts, er weicht den politischen Fragen aus und bleibt stets freundlich distanziert. Für seine Arbeit hat er ein Motto gefunden. Es heißt: Mut machen, vertrösten und schweigen, da kann man gar nichts falsch machen. Der Botschafter mag ihn, er weißt genau, in ihm hat er einen zuverlässigen Staatsdiener an seiner Seite. Nur manchmal erscheint dem ersten Mann dieser Jean-Baptist etwas einseitig und ohne Antrieb. Dieses sieht er jedoch eher als ein medizinisches Problem, das einer Behandlung bedürfe. Da reicht möglicherweise ein Vitaminpräparat aus der eigenen Herstellung des Botschafters. Natürlich darf Haag von seinem Medikamentenhandel nicht erfahren, denn schließlich ist er ein Mann mit einem sehr guten Einkommen. Also leben und leben lassen, die beiden haben es wirklich gut getroffen.
Malena lernt Warnke in dem Café kennen, wo er täglich nach der Arbeit einen Cappuccino trinkt. Aus einer Bekanntschaft wird eine Liebesgeschichte und da die Liebe bekanntlich blind macht, merkt der junge Botschaftsangestellte nicht, daß er zum Komplizen der peruanischen Rebellen wird. Eine Geiselnahme in der japanischen Botschaft, an der Malena beteiligt war, endet tragisch. Jean Baptist wird aus dem diplomatischen Dienst entlassen, der Botschafter selbst macht keine Anstallten, um ihm zu helfen. Auch die eigene Ehe wird neu auf die Probe gestellt, scheitert und Warnke beendetet sein Leben als Selbstmordattentäter im einem Flugzeug nach Amerika.
Arnon Grünberg schildert in seinem neusten Buch „Gnadenfrist“ das Diplomatenmillieu. Besonders gelungen sind die Dialoge des Botschafters und seines Angestellten. Überraschend erfährt der Leser sehr viel über die Vorliebe des „ersten Mannes“ für französischen Wein und über kugelsichere Jeeps, die sich die bessere Klasse in Lima ohne Probleme leisten kann. Die interessanteste Figur ist Malena, die Freundin von Warnke. Diese peruanische Frau, die nur scheinbar für Warnke schwärmt, ist die einzige Person im Leben des Niederländers, die seine bequeme Lebensweise in Frage stellt. Sie handelt unabhängig, studiert und weiß diesen Mann für die Zwecke ihrer Untergrundorganisation einzuspannen. Über die genauen Motive Malenas für den Anschlag in der japanischen Botschaft gibt der Autor keine Auskunft. Der Roman dieses erfolgreichen und beliebten niederländischen Autors zeigt den Aufeinanderprall der westlichen Welt und der peruanischen Gesellschaft. Es sind Parallelwelten, die keine Gemeinsamkeiten aufweisen und wo es selten Überläufer gibt. Grünbergs Sprache ist witzig, seine Fähigkeit Charaktere zu zeichnen, beeindruckend. „Gnadenfrist“ ist ein Roman voller Humor und Tragik, eine Geschichte von der unglücklichen Liebe und vom persönlichem Scheitern. Katarzyna Kaminska
Arnon Grünberg liest morgen um 20 Uhr in dem Literaturladen Wist. Eine Veranstaltung des Brandenburgischen Literaturbüros in der Lesereihe „Niederländische Autoren im Land Brandenburg“.
Katarzyna Kaminska
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