Kultur: Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen
Stewart O“Nans neuer Roman „Halloween“ wird heute im Waschhaus vorgestellt
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Stewart O“Nans neuer Roman „Halloween“ wird heute im Waschhaus vorgestellt Von Antje Strubel Gruselig soll es werden. Durch die Halloween-Maske flackert das Leben fort in die Nacht. Stewart O´Nan lockt in seinem neuen Buch „Halloween“ mit einer irren Geisterfahrt. Es ist jene Nacht des Jahres, in der die Toten wiederkehren. Er zieht die Leser hinab ins Reich der Untoten, wo nichts mehr ungewöhnlich ist. Er holt sie aus den Vorortsiedlungen, vom kurzgeschnittenen Rasen amerikanischer Vorgärten, aus behaglichen Zimmern weg, er spürt sie auf geschniegelten Veranden auf und verspricht die verbotene Süße des Bösen. Wer hier einsteigt, wird sofort geduzt und stellt auch die Identität des Erzählers Marco nicht mehr in Frage. Marco ist der Geist eines der Jugendlichen, die bei einem Autounfall ums Leben kamen. Mit ihm starben der siebzehnjährige Toe und die gleichaltrige Danielle. Als Geister-Trio kehren sie ein Jahr später nach Avon zurück, in die Stadt, in der sie zur Schule gingen. Sie sind das schlechte Gewissen, die Weinkrämpfe, Versagensängst, die stille Trauer der Einwohner, sie sind die Motivation einer Mutter, ein verglastes Foto zur Unfallstelle zu tragen. Manchmal kehren sie in Form einer überwältigenden Erinnerung zurück oder nur als kurzes Innehalten inmitten alltäglicher Hektik. Mit einem Auftrag im unsichtbaren Gepäck fahren sie den Menschen in die Leiber, witzeln aus dem Off, kommentieren jeden Gedanken oder sehen ihnen beim Sex zu. Die Geister-Erzähler spielen Deus Ex Machina, sie spulen das Video der Schreckensnacht vor und zurück in den Köpfen aller Beteiligten. Sie erzählen das Geschehen des vergangenen Jahres nochmal. Dabei haben sie sich ihre Lieblingshelden gesucht: Tim, der ebenfalls im Unfallauto saß, aber unbeschadet überlebte, Kyle, der Rocker, der bei dem Unfall Gesicht und Gedächtnis verlor und jetzt nur noch wie ein Roboter in einem Supermarkt Büchsen sortiert, schließlich Brooks, der schuldhaft verstrickte Polizist. Mit ihnen gehen die Geister die gleichen Wege ab. Sie beobachten, wie Brooks als Polizist versagt, wie die Mutter von Kyle langsam an ihrem Schicksal zerbricht, daß ihr fast volljähriger Sohn jetzt ein Kleinkind ist. Abends treffen sie sich wieder wie vor einem Jahr, kiffen, verschlingen Tacos, sitzen am Fluß, bis sie unweigerlich ins Auto steigen und erneut zur Unfallsstelle rasen. Ein Baum auf einer Anhöhe in der Kehre einer kurvigen Straße und: Aufblendlicht. Denn sie wissen um Tims Plan. Tim hat vor, am Jahrestag des Todes von Danielle, seiner Freundin, auf die gleiche Weise umzukommen wie sie und seine Kumpels. Der erzählerische Trick, die Geister der toten Jugendlichen sprechen zu lassen, ermöglicht O´Nan einen weiten Blick. Er kann in die Köpfe der Figuren ebenso hineingucken, wie er die Zeitspanne eines Jahres mühelos überspringt, wodurch eine Überlappung zweier Ereignisse entsteht. Am Ende steckt man in einer fatalistischen Zeitschleife fest: alles geschieht immer wieder auf dieselbe Weise nochmal. Eine ähnliche Erzähltechnik hat bereits Vladimir Nabokov verwendet. In „Unsichtbare Dinge“, einem seiner letzten Romane, erzählt eine Gruppe Geister vom Jenseits aus. Während sich bei Nabokov jedoch ein philosophisches Universum entfaltet, bleibt O´Nan brav am Konkreten. Seine Geister könnten genauso gut lebende Jugendliche sein. Sie sind nicht durch den Tod geistig erweckt, sie haben keine metaphysischen Einblicke, sondern sind noch genauso Teil ihrer illusionslosen Welt wie zuvor. Es gibt weder die Hoffnung auf ein Leben danach, noch sieht O´Nan Rettung in Form irgendeiner Erkenntnis. Das einzige, wodurch sich Lebende und Tote unterscheiden, ist rein motorisch. Die Geister können fliegen und überall gleichzeitig sein, was andererseits wiederum nur die Fähigkeit jedes allwissenden Erzählers ist. „Halloween“ ist nach „Engel im Schnee“ und „Die Speed-Queen“ wieder ein Roman O´Nans über die amerikanische Kleinstadthölle, ein Thema, was die amerikanische Gegenwartsliteratur jetzt schon länger fest im Griff hat. John Updikes oder Raymond Carvers Hölle mit ihrer Langeweile, der zwanghaften Kleinfamilienstruktur hinter weißgestrichenen Lattenzäunen, in der die Geschlechter-Aufteilung so perfekt funktioniert wie sie ihre Teilhaber in Depressionen und Neurosen treibt, ist schwer zu überbieten. Steward O´Nan scheint es gar nicht erst versuchen zu wollen. Er benutzt nur dasselbe Setting, in dem er seine durchschnittlichen Jugendlichen etwas Überdurchschnittliches erleben läßt. Wobei am Ende nicht mehr klar ist, ob es sich tatsächlich um ein originäres Erlebnis handelt oder nur um eines aus zweiter Hand. Schließlich ist Halloween. Vielleicht ist die ganze Geschichte nur ein Videoclip, und im letzten Kapitel wird mit Rewind zurückgespult. „Halloween“ will nämlich auch ein Road-Movie sein mit Schlachtschiffen von Autos und coolen Sprüchen. Aber O´Nan verliert den Blues an selbstverliebte KFZ-Beschreibungen und landvermesserwürdige Streckendetails von Straßen und Abzweigungen. Das Buch will sich anlehnen an lässige Grusel-Schocker wie „Blair-Witch-Project“ oder „Screem“ und wirkt doch nicht gespenstischer als Pappaufsteller in der Geisterbahn. Im Gegensatz zur kurvigen Unfallstrecke ist das Buch eine schnurgerade amerikanische Straße, deren Ende man vom Anfang aus überblicken kann, und leider biegt auch niemand überraschend ab. Der funkelnde, wilde erzählerische Raum, der sich durch die Idee von Geister-Erzählern anbieten könnte, bleibt unbetreten. Der Autor scheint vielmehr denselben Tunnelblick zu haben, wie ihn der Polizist Brooks aufsetzt, sobald er auf Raser-Jagd geht; die Konzentration ist auf einen Punkt begrenzt. Übrig bleibt ein ausgehölter Kürbis, dessen Kerze zu früh runterbrennt. Aber vielleicht hat Steward O´Nan noch ein paar in der Tasche. Buchvorstellung mit Stewart O“Nan heute um 20 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse. Lesung: Christian Brückner; Moderation: Sigrid Löffler.
Antje Strubel
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