Kultur: Von Käfern und Autofahrten Das Fragment
im Kunsthaus Potsdam
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Dem Künstler stehe es zu, aus dem kleinsten Ding eine ganze Welt zu schaffen, behauptete Rilke. Die Kunsthistorikerin Angelika Euchner zitiert den Dichter, als sie die Ausstellung „Faszination Fragment“ im Kunstverein Kunsthaus Potsdam e.V. eröffnet. So erkunden die 43 ausstellenden Künstler, wie im Kleinsten das Ganze aufscheint.
Das Thema ist nah am Puls der Zeit, denn fragmentarisch tritt uns die Welt entgegen. Ob sich aus tausenden Dokumenten bei Wikileaks ein intimer Blick in den ansonsten gut verborgenen Unterleib der internationalen Diplomatie formt oder zu Kurzzeichen geronnene Befindlichkeiten per SMS umherschwirren: der Überblick verschwindet beim Blick auf das Detail wie das einzelne Reiskorn im Dampfkessel. Das Thema der Ausstellung faszinierte die Vereinsvorsitzende Renate Grisebach, als sie sich mit dem 1960 erschienen Buch des Kunstwissenschaftlers J. Adolf Schmoll befasste, der über „Das Unvollendete als künstlerische Form“ habilitierte.
Zwar fragmentarisch aber keinesfalls unvollendet tritt dem Betrachter Ulf Schülers Terracotta Torso einer jungen Frau entgegen. Den Usancen der gewählten Darstellungsform entsprechend beschränkt sich Schüler auf die reine Körperform. Diese fleischfarben einzufärben und bis ins letzte Schamhaar zu illustrieren treibt den Realismus allerdings recht weit, ohne wirklich Neues zu bieten. Auf dem Foto „Stadtschloß-Fragment“ von Monika Schulz-Fieguth dagegen erscheint die angedeutete Frauenbüste als ebenso geheimnisvolle wie poetische Andeutung eines verlorenen Ganzen.
Auf der anderen Seite des ausgestellten Spektrum der künstlerischen Formen findet sich Ina Lindemanns Bild „Grenzenlos zu Hause“. Mit dynamischem Schwung über die Leinwand getrieben, verteilen sich spannungsreich geschichtete Farbschlieren über die Fläche. Nichts ist greifbar, alles zerfließt in einem vielgestaltigen Rauschen.
Mit dem flüchtigen Blick des Reisenden schaut Peter Berndt in seinen Aquarellen „Ausblick“ und „Einblick“ aus dem Autofenster auf die vorbei ziehenden Baumalleen. Durch den grafischen Kunstgriff die rahmende Fenstereinfassung abzubilden, schafft Berndt es, die differenzierte Farbigkeit der schönen Blätter noch einmal zu unterstreichen. Fragmente von Bäumen finden sich auch auf den Frottagen von Karin Fleischer. Mit Kohlestaub nimmt sie Abdrücke von Baumrinden, aus denen sie häufig großformatige Installationen baut, die den Betrachter umfangen. Davon vermitteln die gerahmten Papiere im Kunstverein nur einen beschränkten Eindruck, was aber ja durchaus dem Thema der Ausstellung entspricht.
Auffällig an der Ausstellung ist die Vielfalt der verwendeten Formen und Genres, die sich vermutlich zwangsläufig aus der Zahl der beisteuernden Künstler ergibt. Neben der Landschaftsdarstellung und dem Akt findet sich auch das Portrait, beispielsweise bei Silvia Klara Breitwieser. „Bildnisse (nach Holbein d.J.)“ nennt sie ihre Fotoserie junger Mädchen. Zufallsbekanntschaften portraitiert die Künstlerin mit der Kamera und verfremdet sie zu rätselhaften Schemen. Die Bildhauerin Breitwieser ist ansonsten für ihre Torf-Installationenl bekannt. „Mich interessiert zunehmend der Mensch und das Besondere, was ich im einzelnen entdecke“, beschreibt Breitwieser ihre neue Lust am Fotografieren. Als kurioser Scherz kommen dagegen die Objekte von Jan Beumelburg daher. „Die Evolution macht was sie will“, hat der Künstler entdeckt. So arrangiert er sorgfältig Haarbürsten und Schuhabsätze, die mit Beinchen versehen zu Käfer mutieren und nun als „Objet trouvé“ unter Glas die fragmentierte Vielfalt der Entwicklung künstlerischer Formen zeigen. Richard Rabensaat
Im Kunsthaus Potsdam, Ulanenweg 9 bis zum 30. Januar, mittwochs 11-18 Uhr, donnerstags und freitags, 15-18 Uhr, samstags und sonntags, 12-17 Uhr. Vom 23. Dezember bis zum 4. Januar ist das Kunsthaus geschlossen
Richard Rabensaat
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