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Kultur: Von Mensch zu Mensch

Jörg Friedrich mit seinem neuen Werk „Yalu. An den Ufern des III. Weltkrieges“ in der Villa Quandt

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Geschichtsforscher gehören zur Sparte der Detektive. Sie wollen herausfinden, was eigentlich geschah, und wie. Allerdings sind sie sich weder einig in ihren Methoden noch in dem, was daraus folgen könnte. Sie sind einander nicht grün. So war dem Historiker Jörg Friedrich 2002 mit seinem Buch „Der Brand“ ein großer Wurf über den alliierten Bombenterror in Deutschland gelungen, das man sofort „umstritten“ nannte.

Am Dienstag referierte er in der Villa Quandt vor etwa zwanzig Hörern über sein neuestes Werk. „Yalu. An den Ufern des III. Weltkrieges“ (demnächst bei Propyläen) setzt sich mit den Ursprüngen des nordkoreanischen Atomprogramms auseinander. Wie konnte es geschehen, dass sich Anfang der fünfziger Jahre am Grenzfluss zu China, dem Yalu, gewaltige Militärkräfte aus den USA, dem Reich der Mitte sowie Koreas gegenüberstanden und ein dritter Weltkrieg mit Atombomben drohte? Bevor man sich aber in der Quandt-Villa an den Yalu begab, kam ein sehr langer Exkurs über die Weltkriege eins und zwei, die bei ihm eher geschahen, als dass sie gewollt waren. Besonders der erste nicht, obwohl Generalfeldmarschall Schlieffen 1914 vorab jeden Tag bis zum Sieg geplant hatte. „Alle Großmächte hatten solche Pläne“, sagte der Privatgelehrte. Doch wie es in Frankreich anders kam, so auch auf dem Balkan: Der Krieg fand einfach nicht am vorgesehenen Orte statt. Mitgemacht hätten die Staaten nur, „weil keiner verlieren wollte“. Nachdem das Kriegsende „dumm gelaufen“ war, setzte man sich von Mensch zu Mensch an einen Tisch, um Lehren zu ziehen. Nie wieder so ein Gemetzel. Vor allem kam es den Herren darauf an, sich bei künftigen Krisen „in seinen Gegner hineinzuversetzen“– was man dann mit Hitler auch tat, als er sich das Sudetenland, die Rheingebiete und den polnischen Korridor zurückholte. Blindheit. Zu spät erst bemerkte man den fatalen Irrtum. Der neue Krieg war da. 1945 setzte man sich wieder von Mensch zu Mensch (in Potsdam) an einen Tisch, um aus den Fehlern zu lernen. Nie wieder wollte man sich in den Gegner hineinversetzen. Zuschlagen, ihn nicht hochkommen lassen, war jetzt die Parole der friedliebenden Westmächte.

Das hatte nun noch nicht viel mit Korea zu tun, aber Friedrich war auf dem Weg.

Stalin, Herr über das „Reich des Bösen“ und Weltrevolutionär, sei der eigentliche Kriegsgewinner von 1945 gewesen. Er habe sich von der US-Atombombe so wenig einschüchtern lassen wie das von Mao zum Staat erhobene China. Nun klopfte, wie Friedrich es lebendig schilderte, der kleine Fürst Kim an Stalins Tür: Hör mal, ich will Korea einigen! Musst du Mao fragen, antwortete der, um seinen Rivalen in einen Krieg mit Übersee zu verwickeln. So geschah es, wieder an einem unpassenden Ort. Aber während Stalin nur eine Atombombe besaß, hatten die Amis sechzig. Sie hätten zugeschlagen, doch Westeuropa „bettelte“ um Erbarmen, Uncle Joe würde sich dort rächen. Menschlichkeit zahlte sich aus, man blieb konventionell: Dennoch Millionen Tote in Korea. Bis auf die für die USA „schmachvolle“ Durchquerung des Yalu durch die listigen Chinesen hörte man über diesen Krieg selbst wenig, höchstens, dass Stalin an allem schuld war. Wahrscheinlich hat Nordkorea aus diesen Jahren gelernt. Gesagt hat Friedrich das nicht. Als bekennender Aufklärer keine höheren Mächte als Truman oder Stalin zulassend, endete er mit einer fatalistischen Klage über „unsere Geschichtsblindheit“ – über seine also. Gerold Paul

Gerold Paul

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