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Kultur: Von Schlossmäusen und Klangkonstrukteuren

Sinfoniekonzerte der Kammerakademie für Klein und Groß im Nikolaisaal

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Wieder einmal wieseln die Kleinen aufgeregt im Foyer des Nikolaisaals durcheinander. Schnell einen Luftballon ergattern, einen Stirnreif mit dem Motto des Kindertreffens basteln oder, und das ist neu an diesem Sonnabendnachmittag, eine Vorlage buntstiftbunt ausmalen, um sie sich als Button pressen zu lassen. Dafür stehen sie sogar Schlange. „Klappe zu, Ohren auf!“ – das kleine Sinfoniekonzert für Kinder kann beginnen.

Begeistert werden Musiker der Kammerakademie und Moderator Stephan Holzapfel wie alte Bekannte begrüßt. Auszugsweise wollen sie ihnen unter dirigentischer Hilfestellung von Tõnu Kaljuste Wolfgang Amadeus Mozarts Es-Dur-Sinfonie KV 543 vorstellen. Im Flyer ist sie als „Mozarts Schwanengesang“ angekündigt. Wie das? Wussten die Veranstalter nicht, das der 1788 entstandenen 39. Sinfonie noch die 40. und 41. folgte?! Erfreulicherweise geht Geschichtenerfinder Holzapfel auf diese Fehlleistung nicht weiter ein. Er hat sich wie stets eine hübsche Geschichte ausgedacht. Nachdem die Instrumente des Orchesters verbal und visuell vorgestellt sind, sucht er nach Namen für zwei Mäuse, denn die seien die wahren Hauptpersonen. Quotengerecht antwortet es aus Kindermund: „Lotte“ und „Moritz“. Selbige ziehen in ein Schloss ein. Pompös erscheint der Monarch samt Gefolge, genau passend zur Adagio-Einleitung des ersten Satzes.

Doch alsbald fühlen sich „Lotte“ und „Moritz“ als neue Besitzer des Anwesens. Nicht weniger fantasieanregend ist der zweite Satz begründet, wo beide ein Baby bekommen haben: Prinzessin Ida. Auch hierbei überlagern sich Wort und Musik. Doch wenn letztere zu laut wird, ist vom Text nicht mehr viel zu verstehen. Die Aufmerksamkeit lässt nach, Unruhe breitet sich aus. Doch die Eltern können ihre schreienden bis quäkenden Krabbelkinder nicht zur Ruhe bringen. Die Hörwilligen stört es gewaltig. Ein gewisses Alter sollten mitgenommene Sprösslinge schon haben, um den Sinn von klassischer Musik verstehen zu können – und zu wollen. „Wir üben jetzt mal feierliches Zuhören!“, fordert passenderweise der Moderator für den dritten Satz, wo die Prinzessin Mäusekindergeburtstag feiert. Natürlich mit Tanz. Wieder passt Mozarts Musik punktgenau dazu. Auch in der finalen Mäuseschule, die Stephan Holzapfel als Mäuselehrer jedoch alsbald verlässt. Ohne „Pauker“ fühlen sich die Kinder mit der Musik alleingelassen. Schade. Im Händerühren sind sie dann wieder voll da.

Solche Holzapfelschen Assoziationen sind dem abendlichen Besucher des großen Sinfoniekonzerts für Erwachsene fremd. Sie müssen sich im Falle der nun komplett erklingenden Mozart-Sinfonie ihre eigenen Gedanken machen. Ob sie dabei an Mäuse gedacht haben?! Kaum anzunehmen, denn nun geht es richtig zur Sache. Kammerakademie und Kaljuste suchen mit klanggeschärfter Forsche, aggressiver Leidenschaft und größtenteils überzogenen Tempi die Geheimnisse der Sinfonie zu ergründen. Auf kontrastbetonte, ruppige Art, die oft in die Nähe des Forcierens gerät. Laut und unelegant hört sich das an. Und gefühlsunterkühlt. Mozart hat anderes verdient.

Unübliches auch bei der Sitzordnung für Richard Straussens D-Dur-Oboenkonzert, einem Spätwerk von 1945. Nun sitzen die 1. Geigen auf der rechten Seite, ihnen gegenüber die Bratschen, an deren Seite die 2. Geigen, dann die Celli. Eine wirkungsvollere Klangmischung lässt sich dadurch nicht erhören. Kammerakademie-Solist Jan Böttcher bläst den heiteren Rokokoton der rosenkavaliernahen Klangidylle mit langem Atem, kantabler Intensität. Dabei singt, leuchtet und strahlt sein Instrument mit dem Orchester um die Wette. Graziöse Fröhlichkeit und Kobolz schießende Eulenspiegeleien wechseln mit melodiöser Glückseligkeit. Kurzum: die Wiedergabe strotzt nur so vor notengesetzter jugendlicher Frische. Himmlisch.

Verständlich hört sich auch die modern-originelle Klangbiografie „Mein Weg“ für 14 Streicher und Schlagzeug des estnischen Komponisten Arvo Pärt (geb. 1935) an. In diesem achtminütigen Stück gibt es in kleinen Schritten auf- und abwogende harmonische Veränderungen en masse. All das sich ständig Bewegende wird sehr zartgliedrig und präzise musiziert. Einen weiteren Gruß aus estnischer Heimat überbringt Tõnu Kaljuste mit den „Architectonics VI“ von Erkki-Sven Tüür (geb. 1959) für Flöte (Bettina Lange), Klarinette (Matthias Simm), Vibraphon (Friedemann Werzlau) und Streicher. Ständig herrschen Hochspannung, Motorik und geschärfte Diktion vor. Klangkonstruktionen, an die sich die offenen Ohren erst gewöhnen müssen. Doch die „Klappe“ ist bei den Erwachsenen durchweg zu.

Peter Buske

Peter Buske

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