Kultur: Von seelischen Nöten
Peppings „Liederbuch“ nach Gerhardt-Texten in der Französischen Kirche
Stand:
Obwohl sie Welten trennen, sind sie dennoch Brüder im Geiste, die in schweren Nachkriegszeiten mutlos gewordenen Menschen mit trostvollen Worten und Liedern wieder aufzurichten verstanden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren es die Verse des protestantischen Liederdichters Paul Gerhardt (1607-1676), die den seelischen Nöten seiner Zeitgenossen anrührenden Ausdruck verliehen.
Als 1647 das von Johann Crüger, Kantor an St. Nikolai, herausgegebene „Berliner Gesangbuch“ in 2. Auflage erschien, erhielt es bereits 18 Lieder von Paul Gerhardt. Wenige Jahre später wurde er an der Nikolaikirche zum Pfarrer ordiniert, wo er eng mit Paul Crüger zusammenarbeitete. Dessen einprägsame Vertonung des „Fröhlich soll mein Herze springen“ – wer kennt sie nicht?! Gerhardts „Ich steh an deiner Krippen hier“ hat Johann Sebastian Bach vertont, das tröstliche „Befiehl du deine Wege“ der Crüger-Nachfolger Johann Georg Ebeling, das fröhliche „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ August Harder.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges war es Ernst Pepping (1901-1981), einer der bedeutendsten evangelischen Kirchenmusikkomponisten des 20. Jahrhunderts, der mit seinem „Liederbuch nach Gedichten von Paul Gerhardt“ den Davongekommenen seelische Überlebenshilfe bot. Gleich Paul Hindemith ging es auch ihm um die „Ausdrucksfunktion der Musik und die Wiederentdeckung der Polyphonie“, wovon der Zyklus kündet.
Innerhalb der „Vocalise“-Vocalwoche wurde er von Doerthe Maria Sandmann zur Klavierbegleitung von Cornelia Maaz in der Französischen Kirche am Bassinplatz vorgetragen. Dabei erschien der intime Raum als passender Rahmen, in dem die artifiziellen Ansprüche der Strophen- oder durchkomponierten Lieder vorzüglich zur Geltung kommen konnten – nichts lenkte vom konzentrierten Zuhören ab!
Spröde geben sich die Vertonungen, die sich jeglicher Verwertung als geistlicher „Gebrauchsware“ entziehen. Ihrem chromatisch geschärftem Klangfluss entspringt kaum eine Melodie, die sich zum Nachsingen eignen würde. Kurzum: Vertrautes muss man beim Hören total vergessen! Dann aber wird man reich beschenkt – durch eine Fülle erbaulicher, gedankentiefer, erwartungsfroher, jubilierender und tröstlicher musikalischer Eingebungen, die allen Facetten menschlicher Empfindungen entspricht. Gottgläubige wie Atheisten finden in ihr sowohl Ruhepol als auch „Tankstelle“. Dabei macht es Pepping ihnen nicht leicht. Dem innig vorzutragenden Lied steht ein eigenständiger Klavierpart zur Seite, der sich dem Vokalen nicht als Teppich andient, sondern eine sehr eigene, kommentierende Sprache spricht. Durch diesen Kontrast der gewollten Unruhe muss sich der Hörer unwillkürlich auf die eigene Auseinandersetzung mit dem Sinngehalt der Lieder einstellen.
Mit ihrer lyrischen Stimme, die über einen weichen Ansatz verfügt, mühelos Legatolinien zu singen versteht und der deklamatorischen Anlage der Lieder vorzüglich nachspürt (wenngleich es dabei zuweilen textunverständlich wird), bringt Doerthe Maria Sandmann die erforderliche Intimität ein. Und das innere Wissen um das Gesungene. Allerdings: Über viele Stimmfarben verfügt sie dabei nicht. Dann wirkt ihr Vortrag mitunter eingleisig.
Im abschließenden „O Haupt voll Blut und Wunden“ ist sie dann ganz bei sich und den Autoren. Mühelos durchschreitet ihr Sopran weite Tonräume, singgestaltet mit fahlen Farben Trost, Todesnot und Glaubensfestigkeit.
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: