Kultur: Von was wurden die Deutschen befreit?
Diskussion mit Hubertus Knabe, Freya Klier und Jörg Friedrich im Peter-Huchel-Haus
Stand:
Diskussion mit Hubertus Knabe, Freya Klier und Jörg Friedrich im Peter-Huchel-Haus Es gibt ein Thema, das seit Monaten die Medien überflutet, seit mehreren Jahrzehnten schon existiert und doch imstande ist, jede noch so gesetzte Versammlung immer von neuem in Aufruhr zu bringen. Und dafür bedarf es keineswegs einer grölenden Antifa-Gruppe, die mit Ghettoblaster, Transparent und einem Flugblatt voll unreflektierter und demagogischer Unterstellungen für Stimmung sorgt. In Wilhelmshorst war dieser pubertäre Auftritt nach wenigen Minuten vorbei und dann wurde es erst richtig lebendig. Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Ostdeutschland war das Thema, zu dem Peter-Huchel-Haus, Brandenburgisches Literaturbüro und Konrad-Adenauer-Stiftung geladen hatten. Die Veröffentlichung des Buches „Tag der Befreiung?“ von Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, war der Anlass. Mit auf dem Podium saßen Freya Klier, Mitbegründerin der DDR-Friedensbewegung und Autorin des Buches „Verschleppt ans Ende der Welt. Schicksale deutscher Frauen in sowjetischen Arbeitslagern“ (1996) und der Historiker Jörg Friedrich, der 2002 das Buch „Der Brand – Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945“ veröffentlichte. Vor der Wende, so scheint es, war die historische Bewertung des Kriegsendes in beiden Teilen von Deutschland einfacher. Im Osten gedachte man der Befreiung durch den sowjetischen Freund und Bruder, der Befreiung von den Nazis, die fortan, so die Propaganda, höchstens noch im Westen ihr Unwesen trieben. Im Westen freute man sich der Freiheit und des Wirtschaftsaufschwungs, welche die Besatzer förderten. Nach der Wende ist, durch das Erlangen einer neuen Souveränität des vereinten Deutschlands, die Möglichkeit entstanden, bisher verpönte, unterdrückte oder schlicht unbekannte Perspektiven auf das Kriegsende zu thematisieren. Das haben die drei Autoren getan und das ist eine heikle Angelegenheit. Die einen rufen: ihr relativiert die Naziverbrechen und die anderen krakeelen: genau, so war es, wir waren Opfer. Freya Klier sieht einen Grund für diese emotionalen und teilweise bedenklichen Reaktionen in 60-jähriger Geschichtsverfälschung: „Da häuft sich was an, an Unrecht. Es sollte alles, was stattgefunden hat, benannt werden.“ Und stattgefunden hat eben nicht nur eine Befreiung, gerade auch in den Konzentrationslagern, sondern auch systematische und von oben angeordnete Massenbombardierung, Massenvertreibung, Massenvergewaltigung. In seinem Buch geht es Hubertus Knabe darum, diese Fakten in Bezug auf Ostdeutschland darzustellen. Er zeigt, dass es nicht angemessen sei, die Vorgänge im Osten als Befreiung zu bezeichnen, wo die Zahlen der vergewaltigten Frauen, verhungerten Kriegsgefangenen und der Opfer von stalinistischem Terror und Säuberungen die Opferzahlen im besetzten Westen und auch diejenigen des späteren SED-Regimes weit überstiegen. In Bezug auf Westdeutschland fragte Jörg Friedrich, was das für eine Befreiung gewesen sein soll, die in die Bedrohung des Kalten Krieges mündete. Was das für Befreier seien, die einen Bombenkrieg mit dem Ziel geplant hätten, eine Million deutscher Zivilisten zu vernichten und die im Falle eines atomaren Krieges bereit gewesen seien, den Großteil der deutschen Bevölkerung zu opfern. Statt der Befreiung von verbrecherischen Kriegsmethoden, wie sie der nationalsozialistische Staat ausgeübt hatte, setzten sich, so Friedrich, diese Methoden fort. Die gleiche Frage stellte Freya Klier in Bezug auf den Osten. Inwiefern seien die Ostdeutschen von der Naziherrschaft befreit worden? Viel eher habe es doch die Befreiung von ihrer Kriegsmitschuld gegeben und dann sei alles bedenklich ähnlich weitergelaufen, wie im Nationalsozialismus. Bei der durch den Moderator Ralf Schuler (Märkische Allgemeine) kaum zu bändigenden Diskussion im überfüllten Raum und auf dem West- (Friedrich) und Ostperspektive (Knabe) vereinenden Podium, wurde nicht nur deutlich, wie genau und differenziert mit dem Thema umgegangen werden sollte. Es zeigte sich auch, dass es einheitliche Bewertungen nicht geben kann, weil das Kriegsende nun einmal viele Gesichter hatte. Und dass es darum geht, ein Geschichtsbewusstsein in Europa zu fördern, das die Selbsttäuschung, Auslassung und Verfälschung der Jahrzehnte des Kalten Krieges aufarbeitet. Dagmar Schnürer „Tag der Befreiung?“, Hubertus Knabe. Propyläen Verlag, Berlin 2005. 388 S., 24 Euro.
Dagmar Schnürer
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: