Kultur: Von wegen „elendes Nest“
Wie Friedrich II. die Entwicklung Potsdams prägte, zeigt die Ausstellung „Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt“ im Alten Rathaus
Stand:
Der erste Eindruck ist ernüchternd. Was nicht als Kritik an der Ausstellung „Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt“ zu verstehen ist. Doch wenn in diesem Jubiläumsjahr eine Ausstellung in dieser Stadt über Friedrich II. eröffnet wird, ist der Vergleich mit „Friederisiko“ im Neuen Palais fast unvermeidlich. Dort sind im Jahr des 300. Geburtstages des bekanntesten Preußenkönigs auf 6000 Quadratmeter, unterteilt in zwölf Themenkomplexe, rund 5000 Exponate zum Leben und Wirken Friedrichs II. zu besichtigen. Das Neue Palais, in dem über 70 zum Teil erstmals zugängliche Räume im Rahmen von „Friederisiko“ besichtigt werden können, ist selbst Teil der Ausstellung geworden. „Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt“, die am morgigen Sonntag um 14 Uhr feierlich im Alten Rathaus am Alten Mark eröffnet wird, zeigt 190 Exponate auf 500 Quadratmetern. Im Neuen Palais, wo der Besucher sich oft genug überwältigen lassen kann, präsentiert sich die Ausstellung über den König, bei aller kritischen Distanz, wie ein rauschendes Inszenierungsfest. Was nicht als Kritik, sondern als Kompliment zu verstehen ist. Im Alten Rathaus fehlt dagegen jeglicher Überwältigungscharakter. Hier konzentrieren sich Museumsdirektorin Jutta Götzmann und ihre Mitarbeiter auf Details und lassen so ihre Sonderausstellung, die gleichzeitig die Eröffnungsausstellung am neuen Standort ist, wie etwas Besonderes glänzen. Dass dieser Glanz nicht nur oberflächlich ist, erkennt der Besucher schnell, wenn die anfängliche Ernüchterung gewichen ist und er sich auf die Feinheiten eingelassen hat.
Mit „Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt“ kehrt das Potsdam Museum, das jetzt den Zusatz „Forum für Kunst und Geschichte“ trägt, mehr als 100 Jahre nach seiner Gründung wieder an seinen alten Standort zurück. Eine Rückkehr in Etappen, wie bei der Vorbesichtung der Ausstellung am gestrigen Freitag noch sehr deutlich zu sehen und zu hören war. Denn noch immer ist das Alte Rathaus, das seit Jahren für das Potsdam Museum saniert und umgebaut wird, eine Baustelle. Im Frühjahr 2013 ist unter dem Titel „Siegward Sprotte Retrospektive“ die erste Kunstausstellung am neuen Standort zu besichtigen. Erst im Spätsommer 2013 wird dann das eigentliche Herzstück des städtischen Museums eröffnet, das in den viel zu kleinen Räumen in der Benkertstraße so nie möglich gewesen wäre: die Stadt- und Kulturgeschichte Potsdams von ihrer ersten Erwähnung 993 bis zur Gegenwart.
Auch wenn in „Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt“ zumindest im Titel der König an erster Stelle steht, ist es Potsdam, also Stadtgeschichte, die in dieser Ausstellung, die selbst wie ein kleiner Stadtrundgang gestaltet ist, erzählt wird. Die Geschichte Potsdams, die erst unter Friedrichs Federführung den Charakter einer Stadt annahm.
Als ein „elendes Nest“ bezeichnete Friedrich die Siedlung an der Havel, wie sie unter der Herrschaft seines Vaters Friedrich Wilhelms I. ausgesehen hat. Als Friedrich im Jahr 1740 den preußischen Thron bestieg, lebten in Potsdam 11700 Zivilisten und 3500 Soldaten, bestanden die Häuser und Bauten vor allem aus Fachwerk. Als Friedrich II. drei Jahre später den Entschluss fasste, das Potsdamer Stadtschloss umbauen zu lassen, weil es ihm selbst nicht gefiel, war dies auch der Beginn für seine städtebaulichen Eingriffe in Potsdam. Diesen städtebaulichen Eingriffen, die der König zeitlebens veranlasste und überwachte, verdankt Potsdam „seinen Ruf als ein kleines, aber erlesenes Kabinett europäischer Architektur und Stadtgestaltung“, wie es in der Ausstellung heißt. Bei seinen Planungen – knapp 600 Bürgerhäuser hat Friedrich in Potsdam nach seinen Vorstellungen errichten beziehungsweise umbauen lassen – war dem König eine Aussage des französischen Architekturtheoretikers Marc-Antoine Laugier zur Maxime geworden: „Wenn man eine schön gebaute Stadt haben will, darf man die Fassadengestaltung der Privathäuser keinesfalls den Launen ihrer Besitzer überlassen.“ Und so wurde Potsdam unter Friedrich vor allem auch eine Stadt des schönen Scheins, der prachtvollen Fassaden. Denn während sich das Blendwerk bei seinem Sommerschloss Sanssouci und dem späteren Neuen Palais auch im Inneren wiederfindet, war die Nutzung der Räumlichkeiten in den von ihm repräsentativ gestalteten Bürgerhäusern relativ egal. Hier zählte: Repräsentation vor Funktion. Die entsprechende Wirkung hat das zumindest nicht verfehlt.
So betritt der Besucher die Ausstellung mit dem ersten von insgesamt fünf Themenkomplexen „Potsdam im 18. Jahrhundert“. Großzügig wirken die Räume im Erdgeschoss des Alten Rathauses. Klar die Formen, übersichtlich die Präsentation der Ausstellungsstücke, die hier vor allem aus zeitgenössischen Gemälden von Potsdam, Reisebeschreibungen und Stadtansichten bestehen. Weiter geht es zum Alten Markt und dessen Entwicklung unter Friedrich II. unter dem Titel „Königliches Bauen in Potsdam“. Und hier präsentiert die Ausstellung nicht nur den „Auftakt und Höhepunkt königlicher Stadtgestaltung“, sondern auch eine eigene Glanzleistung. Auf einer halbrunden, großen Leinwand entsteht wie auf einem Reißbrett der Alte Markt, wie ihn der Lieblingsarchitekt des Königs, Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, auf Geheiß Friedrichs gestaltet hat.
Mit der Fassadengestaltung der Stadt, dem Umbau des Stadtschlosses und dem Bau von Sanssouci und dem Neuen Palais benötigte Friedrich auch die entsprechenden Gewerke, ob nun für Luxus- oder Gebrauchsgüter. Durch eine gezielte Siedlungs- und Förderpolitik stieg die Einwohnerzahl bis zum Tode Friedrichs im Jahr 1786 auf 18 500, hinzu kamen 6500 Soldaten. Unter dem Titel „Luxus- und Gebrauchsgüter aus Potsdamer Manufakturen“ ist das hohe Niveau in der Möbeltischlerei, den Seiden-, Glas- und Porzellanmanufakturen zu bestaunen. Ein Raum ist allein dem Militärwaisenhaus gewidmet, das unter Friedrich zum größten Gebäude in Potsdam ausgebaut wurde. Und wie schon in den anderen Räumen auch ist die Auswahl der Exponate, von denen zwei Drittel Leihgaben sind, auf ein überschaubares Maß beschränkt. So überzeugt „Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt“ vor allem durch ein konzentriertes und so die Aufmerksamkeit förderndes Ausstellungskonzept, das unter „Potsdam nach und in Erinnerung an Friedrich“ und „Friedrich und Potsdam in der Kunst der Moderne“ bis in das Heute reicht. Es sind aber diese beiden, die Ausstellung beschließenden Komplexe, die im Vergleich zu den überzeugenden historischen Präsentationen blass und mehr wie Zugeständnisse wirken. Dem Stellenwert dieser kleinen, aber detailfreudigen Ausstellung tut dies indes keinen Abbruch. Im Gegenteil, es lenkt die Aufmerksamkeit auf die wirklich gelungenen und interessanten Bereiche.
„Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt“ eröffnet am morgigen Sonntag um 14 Uhr im Alten Rathaus am Alten Markt und ist bis zum 2. Dezember, dienstags bis sonntags, 10-18 Uhr, geöffnet. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro. Der Katalog zur Ausstellung ist im Hirmer-Verlag erschienen und kostet in der Ausstellung 17, in englischer Sprache 11 Euro
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: