Kultur: Von wegen matt
Flötist Stefan Temmingh bei „Klassik am Sonntag“
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„Der Ton ist äußerst leise und melancholisch“, charakterisiert Musikästhet Christian Daniel Schubart den Klang der Flauto dolce, besser bekannt als Blockflöte. Das Instrument leide nur eine „sehr matte Begleitung“, was sie bereits Ende des 18. Jahrhunderts aus der Mode gebracht habe. Neben zahlreichen tonsetzerischen Erinnerungen an vergangene Zeiten kündete das Konzert der „Klassik am Sonntag“-Reihe im vollbesetzten Nikolaisaal von der Blockflöte äußerst lebendigem Dasein. Was die Brandenburger Symphoniker unter Leitung von Michael Helmrath dazu im Angebot haben, verheißt weihnachtliche Klänge. Für solches Pastorale ist die Blockflöte als Hirteninstrument geradezu prädestiniert: Mit ihr lässt sich im wiegenden Siciliano-Rhythmus stimmungsvolles Geschehen um die Geburt Jesu nahezu perfekt beschreiben.
„Bilderreich“ sei solche Musik und „Projektionsfläche für mannigfaltige Assoziationen“, sucht Moderator Clemens Goldberg den roten Faden zu knüpfen. Bei barocken Concerti hat’s damit kein Problem. Schon bei den ersten wiegenden 6/8-Takten von Johann Melchior Molters „Concerto pastorale“ in G-Dur verbreitet sich auch ohne die titelgebende Ergänzung die entsprechende Stimmung. Weich und geschmeidig musizieren die Streicher, stimmungsdicht und schwingend im Puls der Musik. Flott gespielte freudige Aufgeregtheiten assoziieren das Hin und Her der Hirten, nachdem sie die Weihnachtsbotschaft vernommen haben. Ähnlich gefühlsintensiv und pastorallieblich erklingt das Concerto grosso in g-Moll op. 5/6 von Giuseppe Sammartini, das in die prall gefüllte Schublade der „Weihnachtskonzerte“ gehört.
Dazwischen hat die Blockflöte in mancherlei baulicher Ausführung ihre Auftritte. Als virtuoser Blasmeister erweist sich dabei der 1978 in Kapstadt geborene Stefan Temmingh, der mit Georg Philipp Telemanns C-Dur-Blockflötenkonzert Kunde seines staunenswerten Könnens gibt. Anstatt leise und melancholisch, so Schubarts Beobachtung, tönt es aus Temminghs Blasrohr scharf und durchdringend. Abrupt wechseln Klangfarben und Dynamik – genau passend zu den vielgestaltigen und wendungsreichen Noteneingebungen Telemanns. Flinke Läufe, atemberaubende Instrumentalkoloraturen (wann holt der Mann überhaupt mal Luft?!) und gefühlvolles Andante-Singen machen Staunen. Kaum weniger überwältigend die Uraufführung der dem Solisten gewidmeten „Omaggio a Vivaldi“ für Blockflöte, Cembalo und Streicher von Enjott Schneider, eine spannende Annäherung an Vivaldi, dessen „spannender, bildhafter Gestus keinen modernen Komponisten kaltlässt“, so Schneider im Gespräch mit Goldberg. Zur Klangwerdung bedient sich Temmingh der ganzen Blockflötenfamilie bis hin zum bassgrummelnden „Großvater“. Vergnügliche Spielfiguren von zickig und schrill über kapriziös bis nachdenklich und effektvoll-virtuos erfreuen das Ohr. Die Novität wird sehr beifallsfreudig aufgenommen. Nicht weniger ein sich anschließendes Vivaldi-Original für Flautino und Streicher, in dem des Tirilierens, der auftrumpfenden Spielfreude und der virtuosesten Fingergelenkigkeiten kein Ende scheint. Da nach Weihnachten unabänderlich die Karnevalszeit anbricht, stimmen die Brandenburger Symphoniker mit der „Tanzsuite nach Couperin“ von Richard Strauss darauf ein. Genüsslich schwelgend, klangschlank, mit unbändigem Spielwitz und zartduftigem Wettstreiten zwischen Cembalo, Violine und Holzbläsern kosten sie das karnevaleske Treiben aus. Herzlichster Beifall auch hier. Peter Buske
Peter Buske
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