Kultur: Von wilder Entschlossenheit
Uwe Eric Laufenberg inszenierte die Uraufführung „Lina“ von Markus Hille im Schlosstheater
Stand:
Uwe Eric Laufenberg inszenierte die Uraufführung „Lina“ von Markus Hille im Schlosstheater Von Ulf Brandstädter Als sich Caroline von Günderode 1806 tötet, verstummt eine starke Seele, die nicht gewillt war, sich domestizieren zu lassen. Schon gar nicht von so unerotischen Tugendempfehlungen für Frauen, nur ja keine Bücher zu schreiben. Im Gegenteil: die ehrgeizige Dichterin hält das ganze Leben für Poesie. Nur die reine Wahrheit zählt, in der die gängigen Kompromisse keinen Platz haben. Menschen, die in der Liebes- nicht auch die Todeserfüllung sehen, findet sie fürs Dasein zu feige und fürs Sterben zu schwach. Die Folgen ihrer Konsequenz: Schon in jungen Jahren spielt sie mit dem Gedanken an Selbstmord und wird von ihrer Umgebung gebeten, doch so zu sein, wie alle anderen Menschen auch. Aber es bleibt dabei: hier ist die Dissonanz die Harmonie, die animalische Sehnsucht nach spiritueller Befriedung der treibende Motor. Markus Hille kleidet diese beunruhigende Spannung in ein Parlando aus humorvollem Boulevard und hochfliegender Sentenz. Er stellt die absolute Günderode inmitten ihr gewogener Freunde, die trotz aller Unkonventionalität das Unglücklichwerden aneinander nicht verhindern können. Man schläft über Kreuz miteinander, eifersüchtelt, wird abgewiesen oder begehrt. Allerdings immer vom falschen Partner. Die alles auf den Kopf stellende Günderode degradiert die Gesellschaft zur geistigen Statisterie, die hilfloser wirkt als die Selbstmörderin aus hart erarbeiteter Einsicht. In der Inszenierung findet sich das Stück so allerdings kaum wieder. Die ästhetische Unentschiedenheit zwischen kleinteiligem aber oberflächlich gearbeitetem Naturalismus und verdichteter Überhöhung belässt das Ganze im Ungefähren. Die autorengewollte Provokation, in Zeiten der Unbehaustheit im öffentlichen Raum einmal wieder das Innere auf seine glückstragende Konstruktion abzuklopfen, verpufft in staunendem Geraune. Man erklärt sich die Texte, fleht erschröcklich oder predigt erschüttert. Der Genuss am Kalkül, an der frechen Spitzfindigkeit, an allem, was ein rasantes Kopfspiel elegant und spannend macht, bleibt draußen. Der Salon-Garten-Landschaftsraum mit drei lebenden Kaninchen (Claudia Jenatsch) und oftmals nackten Menschenleibern, die mit sich oder nassen Kleidern kämpfen, verschluckt die Darsteller eher als er sie spielträchtig präsentiert. Die Dialoge verhallen im Raum. Annett Renneberg als Line wirkt denn auch eigentümlich farblos. Man glaubt ihr bisweilen das „Günderödchen“ aber nie die Günderode mit „Männern zwischen den Zähnen“. Das Objekt ihrer Begierde, Johannes Suhm als ängstlich ordnender Savigny, bekommt erst gar nicht die Chance, sich als Gegenspieler etablieren zu können. Auch Moritz Führmanns Clemens Brentano bleibt mehr ein kraftmeiernder Solitär denn potenzieller Bruder im Geiste der Günderode. Das Spiel zwischen den intellektuellen Kampfhähnen will sich einfach nicht verzahnen. Adina Vetter als Gunda Brentano wird ebenfalls Opfer konturloser Blässe. Im Stück von vitaler Direktheit bis hin zum Vulgären verharrt sie auf der Bühne eher im gefälligen Protokoll. Einzig Jennipher Antoni als sterbenskranke Schwester der Günderode unterfüttert ihre Texte so lebensgenau, dass plötzlich nur über darstellerische Phantasie Menschen aus Fleisch und Blut auf der Bühne kämpfen. Dafür liebt das Publikum die Schauspielerin. Dem neuen Intendanten des Hans Otto Theaters, Uwe Eric Laufenberg, ist mit dieser Auftaktregie seiner Amtszeit eine Textentdeckung zu danken, die ihrer inszenatorischen Erfüllung aber noch harrt.
Ulf Brandstädter
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: