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Kultur: Von Zweifeln geplagt

„Ich zweifel, also bin ich“: Gedichte von Christine Kahlau und Musik von Olaf Grabow in der Klein-Glienicker Kapelle

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Ein Gedicht sei eine Versdichtung, weiß das Lexikon: sei sie nun episch, lyrisch oder dramatisch geprägt. Was aber, wenn Poesie, Maß und die Form dafür fehlen? Dann fängt das Grübeln an. Über jene ungereimten und unpoetischen Worte beispielsweise, mit denen die Autorin Christine Kahlau den Alltag zu beschreiben sucht. Frei nach der Erkenntnis des französischen Philosophen René Descartes „Ich denke, also bin ich“ stellte sie Sonntagnachmittag in der Klein-Glienicker Kapelle ein Programm mit Musikgarnierung vor, das sich „Ich zweifel, also bin ich“ nennt. Dabei handelt es sich um buchgesammelte und vorgelesene Impressionen und Lebenserfahrungen mit oftmals überraschenden Wendungen, Ein- und Ansichten. Nichts als gegeben hinzunehmen, scheint die Triebfeder ihres Schreibens seit 1984 zu sein. Doch wer zuviel zweifelt, der verzweifelt, sagt man. In Zweifelsfällen entscheide man sich für das Richtige, meint der Spötter Karl Kraus. Doch was ist das Richtige?

Nach längerem Hinhören entscheidet das Gehirn, dass es keine Gedichte seien. Eher knochentrockene Prosa über alltägliche Beobachtungen, über Nichtigkeiten, persönliche Befindlichkeiten. Die Zeilen durchweht kein Welt- oder Zeitgeist, selbst wenn sie Titelüberschriften wie „Weltenspiegel“ oder „Zeitenwechsel“ tragen. Manche führen gar in die Irre. „Fliegende Fische“ erweisen sich als Beobachtungen von Artisten am Trapez, die apostrophierte „Freiheit“ als Kreuzwege im Dickicht.

Was Christine Kahlau trockenen Tons vorträgt, erweist sich ob seiner Kürze und seines zugespitzten, bisweilen paradoxen Gedankenansatzes gelegentlich als ausgewachsener Aphorismus. Allerdings in spröder Worthülle. Was „Schöpfung“ sei? Nenn“ es Gott, Gefühl oder Energie, lautet der Autorin Erkenntnis. Das Spiel mit Schachfiguren sei ein Zeitvertreib ohne Regeln, aber fair. „Veränderung“ bedeute Regeln verletzen, alte Narben entdecken. Nun ja „Zweifel“ meldet sie über die Liebe Gottes zu jedermann an: Vergisst er nicht hin und wieder wen? Vielleicht muss man einen Nerv für abwegigen bis erstaunlichen Gedankengänge haben, um deren Sinngehalt begreifen zu können. Der Kritiker hatte ihn nicht.

Für Zäsuren und klangliche Untermalung des Vorgetragenen sorgt der blinde Musiker Olaf Grabow auf Gitarre, Maul- und einseitig bespannter Handtrommel. Was er spielt, wirkt wie improvisiert und sucht das Wort mit meditativen Klangerfindungen aufzuarbeiten und zu ergänzen. Die Maultrommel mit ihrem sonoren Brummen und überraschenden Glissandoeffekten ist dafür besonders geeignet. Ähnliche Eindrücke stellen sich auch durch die Schwingungs- und variierenden Rhythmusarbeiten am Fell ein. Bewegteres auf der Gitarre wird mit Melodiepfeifereien unterstützt, die ihr Herkommen von Folk und Country nicht verleugnen. Auf einer Minizither zupft er fernöstliche Ätheroklänge, die sich anhören, als seien sie per Computer generiert. Wie denn überhaupt das Programm den Eindruck erweckt, es sei per Zufallsgenerator erzeugt – nach fünfzig Minuten hört es plötzlich auf. „Wenn Zweifel an dem Herzen nagt“, ist sich Barde Wolfram von Eschenbach sicher, „dem ist der Seele Ruh versagt“. War dies die Absicht der nachmittäglichen Zusammenkunft?

Peter Buske

Peter Buske

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