Kultur: Vorgeschmack
Hörlounge-Gespräch über Schuberts Dritte
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Sitzen die Musiker beim Spielen spannungsgeladen auf der Stuhlkante oder lehnen sie beamtenbequem in den Rundungen der Lehnen? Wiegen sie sich gleichsam wie Halme eines wogenden Kornfelds, um mehr als nur notengetreu Niedergeschriebenes in Klang zu verwandeln? Und wie ist’s um den mehr oder weniger körperbetonten Einsatz eines Dirigenten bestellt? Tanzt er bernsteingleich auf dem Podium oder übermittelt er seine Intuitionen karajanesk, das heißt in völliger Konzentration aufs Wesentliche? Fragen über Fragen. Doch wie sind sie eigentlich zu Werke gegangen, wenn man ihr Klangergebnis nur von einer Schallkonserve hören kann?
Zu solchen und anderen Erkenntnisgewinnen will der Freundeskreis der Kammerakademie Potsdam mit seinem Tonträger-Mobile beitragen, das bei Konzerten im Nikolaisaalfoyer aufgestellt ist und zum Kauf von Musikalien auf gesprächsverführerische Weise verlockt. Hinzugekommen ist nun eine Hörlounge in der SperlGalerie. Nach literarischem Auftakt Ende März fand am Montag nun erstmals die musikalische Höranbahnung statt. In kleiner gemütlicher Runde stellten Kammerakademie-Flötistin Bettina Lange und Chefdirigent Antonello Manacorda vier sehr gegensätzliche Silberscheibenproduktionen von Schuberts 3. Sinfonie D-Dur zur Diskussion.
Warum gerade sie? Weil sie am Samstag beim 8. Sinfoniekonzert unter Manacordas Leitung auf dem Programm stehen wird. Nun hätte man meinen können, dass mancher Abonnent froh über solche bildungsförderliche Offerte gewesen wäre. Doch leider fanden sich nur zehn Interessierte ein. Ausgewählt hatte Bettina Lange Aufnahmen mit Carlos Kleiber/Wiener Philharmoniker und Herbert von Karajan/Berliner Philharmoniker, beide 1978 produziert. Trotz gleich großer Besetzung und verwendetem modernem Instrumentarium liegen Welten zwischen ihnen. Und auch Nikolaus Harnoncourt/Concertgebouw Orkest (1992) sowie Frans Brüggen/Orchestra of the 18th Century (1996) könnten nicht konträrer in ihren Deutungen sein. Dort der Guru der Alte-Musik-Szene, der einem modernen Orchester die historische Spielweise beigebracht hatte; hier der analytische Klarzeichner mit einem klein besetzten Orchester, das die historische Musizierweise pflegt, auf Darmsaiten spielt, rasante Tempi liebt, straff phrasiert, auf vordergründige Brillanz setzt.
Zu jedem Hörbeispiel gibt Antonello Manacorda kurze Kommentare. Karajans Version entspreche dem wirtschaftswunderlichen Zeitgeist und erinnere ihn an eine italienische Minestrone, deren Suppenzutaten zwar noch erkennbar, aber im Mixer zusammengerührt worden seien. Er habe die Schönheit geliebt, jegliche Schärfe gemieden. Harnoncourts Mittelweg erschiene ihm die „beste Lösung“, so Manacorda. Wenig später konnte er sich für Carlos Kleiber und seine für damalige Zeiten geradezu wegweisende Interpretation begeistern: schlanker Klang, atmende Tempi, detailgenau, klangsinnlich. Als einziger würde er das Allegretto heiter, „spaziergangsleicht“ spielen. Harnoncout erweise sich als freundlich-langsamer Flaneur, Karajan als gemächlicher Geher. Nicht weniger trefflich die Anmerkungen zum Finalsatz, wo ihm bei Brüggens Tarantellafurioso die Erkenntnis wächst, das historische Instrumente schnell an ihre Grenzen kommen. Sein Fazit: „Schubert ist immer noch zu entdecken.“ Wie wird er die Dritte deuten? Man darf gespannt sein. Peter Buske
Sinfoniekonzert mit der Kammerakademie Potsdam am Samstag, 16. April, 19.30 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11
Peter Buske
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