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Kultur: Vorliebe fürs Fortissimo

Humboldt-Universität mit Brahms und Blacher

Humboldt-Universität mit Brahms und Blacher Studentisches Musikleben findet nicht nur auf Partys und bei Discobesuchen statt, sondern auch durch Mitwirkung in einem der universitären Klangkörper. Für das diesjährige Wintersemester haben sich Humboldts Philharmonischer Chor und das Symphonische Orchester der Humboldt-Universität zwei anspruchsvollen Werken gestellt: Johannes Brahms'' 3. Sinfonie und Boris Blachers Oratorium „Der Großinquisitor". Im Potsdamer Nikolaisaal werden die Ergebnisse am Sonntag vorgestellt. Ziemlich schwerfällig bringt sich die tönend bewegte Materie in Gang und auf Trab. Selbst die ausladende Gestik des Dirigenten Constantin Alex hat da Mühe, Brahmsens leidenschaftliche, selbstbewusste und tatenfrohe Klangsprache erstehen zu lassen. Gewiss: man ist freudig und engagiert bei der Sache. Nur: können muss man sie auch. Und da fangen die Probleme an. Beispielsweise mit Alex'' Vorliebe für ein streckenweise ohrenunfreundliches Fortissimo. Da ist Forcieren nicht weit weg, Brahms schon. Den liedhaften Gesang des Andante musizieren sie schlicht, aber glanzlos. Brahmssches Melos? Fehlanzeige. Wenn nicht laut gespielt wird, klingt es recht angenehm. Doch im Finale sind die Musices wieder von allen guten Geistern verlassen, gerät ihr Zusammenspiel unpräzise und unsauber. Fazit: ein verkorkster Brahms. Zu großer Form laufen sie nach der Spielpause auf – so als hätte es eine Standpauke des „Trainers" gegeben. Oder liegt ihnen die motivdichte, konturenklar geformte Sprache von Boris Blacher (1903-1975), ihr lakonischer bis grotesker Duktus einfach besser? Wie dem auch sei: sie fühlen sich im verzweigten Geflecht der schlichten wie aufwühlenden Melodielinien hörbar wohl, zeigen sich in den vertrackten Rhythmen sehr sicher. Humboldts Sängern sind sie ein verlässlicher Partner. Diese tragen in Blachers Oratorium „Der Großinquisitor" nach der gleichnamigen Erzählung aus Fjodor Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“ die interpretatorische Hauptlast des Abends. Groß ist das Choraufgebot. Es macht nicht nur mit Klangmasse, sondern auch durch Klasse auf sich aufmerksam. Ein Verdienst guter Stimmschulung, durch die sich die weitgehend schärfefreien Soprane, ausdrucksvollen Alte, klarstimmigen Tenöre und markante Bässen zu einer homogenen Sangesgemeinschaft zusammenfinden konnten. Sie zeichnet sich durch Beweglichkeit, prägnante Diktion, Transparenz und gute Textverständlichkeit aus. Den meisten Besuchern ist''s mehr als befremdlich, als zu Beginn des zweiten Teils ein haarstruppiger junger Mann im Ledermantel, der zuvor schon auffällig geworden war, das Podium entert. Er lässt sich auf einem mitgeführten Klapphocker nieder. Ein Störer? Den Dirigenten scheint es nicht zu überraschen, auch nicht den Bariton Ulf Bästlein, der in dem „Gast“ einen stummen Anblickpartner für den Riesenmonolog des Großinquisitors gefunden hat. Langsam wird einem klar: das ist der personifizierte Ansprechpartner, der gefangene Jesus, vor dem sich der Großinquisitor für seine Ketzerverbrennungen rechtfertigt - im Namen Gottes. Mit seinem aussagestarken, deklamatorisch geprägten Vortrag weiß der Sänger restlos zu überzeugen. Statt Jesu auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, beschwört er ihn: „Geh und kehre nie wieder, niemals.“ Und tatsächlich: „der Gefangene geht“ (wie es im Text heißt) vom Podium, die Parkettstufen zum Ausgang. Doch eigentlich bedarf es nicht diesen Einfalls, um der beklemmenden Szene das Ausrufezeichen zu setzen. Nur langsam löst sich die Spannung, dann prasselt der Beifall.Peter Buske

Peter Buske

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