Von Dirk Becker: Vorstellung und Wirklichkeit
In der Potsdamer Inszenierung von Glucks „Le Cinesi“ treffen zwei musikalische Welten aufeinander
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In China haben sie es schon versucht. Dort wurde die traditionelle Peking Oper mit einem europäischen Sinfonieorchester auf die Bühne gebracht. „Das hatte aber keinen Erfolg“, sagt Karsten Gundermann. Zu gegensätzlich blieben diese beiden musikalischen Welten und dementsprechend waren auch die Reaktionen im Publikum. Nun gibt es einen neuen Versuch, die asiatische und europäische Musikwelt in einem Stück gemeinsam auf die Bühne zu bringen. Die barocke Opernserenade von Christoph Willibald Gluck „Le Cinesi“ bietet dafür den Rahmen. Am heutigen Freitag feiert diese eigenwillige Inszenierung mit dem Ensemble L’arte del Mondo zusammen mit Musikern und Solisten der China National Peking Opera Company im Schlosstheater im Neuen Palais zum Auftakt der diesjährigen Musikfestspiele Sanssouci Premiere.
Karsten Gundermann, verantwortlich für die kompositorische Bearbeitung, hat sich zwischen den Proben Zeit genommen für ein Gespräch. Wie üblich ist die Anspannung in den letzten Tagen vor der Premiere groß und das bekannte Gefühl, im Grunde zu wenig Zeit für die Vorbereitungen und entsprechenden Feinheiten zu haben, hat sich auch schon längst eingestellt. Doch Gundermann, der Komposition an der Dresdner Musikhochschule, ab 1990 an der Nationalakademie für Chinesisches Theater in Peking studierte und 1993 die Peking-Oper „Die Nachtigall“ nach einem Märchen von Hans Christian Andersen komponiert hat, wirkt trotzdem ganz gelassen. Denn er lässt sich von diesem Gefühl treiben, dass mittlerweile auch die Musiker, die Sänger und den Regisseur Igor Folwill ergreifen hat. Das Gefühl, dass die Verbindung in „Le Cinesi“ funktioniert.
Aber warum soll ausgerechnet in Potsdam gelingen, was in China scheiterte? Wie sollen diese beiden so unterschiedlichen musikalischen Welten zueinander finden?
„Durch das gemeinsame Element der Geste, der Haltung, des Affektes“, sagt Karsten Gundermann. Und den kleinen Kunstgriff einer Erweiterung des Personals in „Le Cinesi“ um zwei Figuren.
Gluck lässt in „Le Cinesi“ (Die Chinesinnen) die drei Freundinnen Lisinga, Sivene, Tangia und Lisingas Bruder Silango sich mit Theaterspielen die Zeit vertreiben. Doch jede von ihnen möchte ein anderes Stück spielen. Und weil Silango gerade von einer Studienreise zurückgekehrt ist, probieren sich die drei Chinesinnen mit Tragödie, Pastorale und Komödie an den Spielarten des europäischen Theaters.
Hier zeigt sich die Fantasie eines europäischen Komponisten, der in seiner Opernserenade die damaligen Sehnsuchtsklischees einer noch unbekannten und daher umso mehr verklärten Ferne verarbeitet. Gundermann und Regisseur Folwill haben dem Gluckschen Personal nun eine chinesische Sängerinnen und einen Sänger von der China National Peking Opera Company hinzugefügt, die nun ebenfalls Theater spielen. Aber im Gegensatz zur europäischen Tragödie, Pastorale und Komödie präsentieren sie traditionelles chinesisches Theater und Oper.
„Neben einem typischen Heldenepos wird ein religiöses Lied von einer Waldfee zu hören sein“, sagt Gundermann. So werden in der Potsdamer Inszenierung von „Le Cinesi“ dann die Chinavorstellungen aus dem europäischen Barock auf die musikalische Wirklichkeit dieses damals so fernen und fremden Landes treffen.
Das Bühnenbild im Schlosstheater ist äußerst spartanisch. Ein paar Stühle und schmale, hohe Spiegelflächen an den Seiten. Spiegel hatte Gluck schon zur Uraufführung von „Le Cinesi“ im Jahr 1754 genutzt. Der eigene Blick in den Spiegel wird vielfach zurückgegeben, wirft einen aber trotzdem immer wieder auf sich selbst zurück. Mehr braucht es nicht für diesen reizvollen, aber auch gewagten interkulturellen Dialog. Denn im Mittelpunkt stehen die Menschen, die Figuren. Und es sind ihre Gesten, ihre Haltung, die sie erklären und dem Zuschauer näher bringen.
Sowohl in der Peking Oper, wo sich Singen, Tanzen, darstellendes Spiel und auch Kampfkunst vermischen, als auch in der barocken Oper haben Gestik, Haltung und Affekt einen hohen Stellenwert. Und das war auch die Gemeinsamkeit, die Karsten Gundermann zeigte, dass beide so unterschiedlichen musikalischen Welten zueinander finden können.
Im Jahr 2003 wurde er mit der Idee konfrontiert, Glucks „Le Cinesi“ mit traditioneller Peking Oper zu verbinden. „So liegen im Grunde allein sieben Jahre Arbeit und ständige Abstimmung mit den Künstlern in China und Europa in diesem Projekt“, sagt Gundermann. Wie oft sie in dieser Zeit das Libretto umgeschrieben und ergänzt haben, kann er schon nicht mehr sagen. Aber dass es gelungen ist, vor allem durch die Rezitative, die viel Raum für Improvisationen lassen, Nähe zwischen den beiden Welten herzustellen. In den Arien stehen sich das musikalische China und Europa noch immer fremd gegenüber. Aber im abschließenden Ballett soll dann die gelungene Vereinigung gefeiert werden.
Die Premiere von „Le Cinesi“ am heutigen Freitag im Schlosstheater im Neuen Palais ist ausverkauft. Für die Vorstellung am morgigen Samstag, 20 Uhr, sind noch Restkarten erhältlich. Weitere Informationen unter www.musikfestspiele-potsdam.de
Dirk Becker
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