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Kultur: Wahlschwester

Marion Tauschwitz stellte ihre Domin-Biografie vor

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Manchmal sind die Biografien von Autoren spannender als ihre Werke. Auf die Lyrikerin Hilde Domin trifft das wohl zu, auch wenn Marion Tauschwitz dies bei ihrer Buchpräsentation am Sonntag anders sah. Die Heidelberger Germanistin legt nicht einfach eine Vita über die gebürtige Kölnerin vor, sie behauptet vielmehr, „die Biografie“ über Hilde Domin geschrieben zu haben. Legitimation dazu bekam sie von der Autorin selber, denn einmal begleitete sie die wesentlich ältere „Wahlschwester“ durch die letzten Jahre ihres fast 100-jährigen Lebens, andererseits war sie mit dem Nachlass betraut. Und fand so in einem Schrank etliche Briefen von 1931 an, manche an die Eltern gerichtet, die meisten an ihren Mann Erwin Walter Palm.

Marion Tauschwitz wunderte sich: Wie, das Ehepaar hatte sich zeitweise bis zu sieben Briefe täglich geschickt, manche zwölf Seiten lang, und in winziger Schrift geschrieben? Je mehr sie in dieses andere Leben eintauchte, um so mehr faszinierte es sie. So sehr, dass sie im Babelsberger Wilhelm-Fraenger-Archiv mehr als zwei Stunden von der Domin erzählte, ohne sich und den vielen Gästen ein Päuschen zu gönnen. Andreas Freye begleitete diese temperamentvolle Matinee sehr einfühlsam mit Gesang zur Gitarre.

Geschrieben „für die verlierbaren Lebenden und die unverlierbaren Toten“, ist in dieser Biografie tatsächlich viel Gleichnishaftes enthalten. Exemplarisch ist der beschriebene Lebenszeitraum zwischen 1909 bis 2006, Domins äußere Vita ließe sich mit „jüdisches Emigrantenschicksal“ umschreiben, deren Wege das Ehepaar über viele Stationen bis in die Dominikanische Republik führte. Dass es andere nicht so gut trafen, erlebten sie 1954 bei ihrer Rückkehr nach Deutschland, als ihnen viel Hass und Missgunst entgegenschlugen. Sich hier intellektuell und gar schriftstellerisch zu etablieren, war fast unmöglich. Auch der mehr als 50-jährige Kampf ihrer Liebe um Erwin Walter Palm gehört hierher. Was sich da an Enttäuschungen und Verwerfungen auftat, nannte Hilde Domin „ein lebenslanges Ehegespräch“. Trotzdem half sie ihm bei seiner Arbeit, in der Dominikanischen Republik, aber auch später in Deutschland, als sie sich um die Herausgabe seiner Manuskripte und Gedichte kümmerte. Es war auch eine dichterische Konkurrenz, worunter sie litt: „Und gönne mir meine Zeit, dann verlierst du nichts“, schrieb sie ihm 1957.

Hilde Domin, die weder als Exil- noch als jüdische Schriftstellerin gelten wollte, fand erst nach dem Tod ihrer Mutter 1951 so richtig zum Schreiben. In ihren Gedichten reflektiert sie meist „nur“ das Gesehene, Erlittene. Insofern mag ihre Freundin und Biografin Marion Tauschwitz wohl Recht haben, wenn sie hier die „Einheit von Leben und Werk“ postulierte. In diesem dickleibigen Buch mit dem Titel „Dass ich sein kann, wie ich bin“ gibt es nicht nur Exempel zu Themen wie Exil, Politik, Juden oder Ehe, hier sind auch die Nebenprodukte interessant. Wenn das Paar auf dem Schiff „Skythia“ via Kanada Richtung Dominikanische Republik dampft, ist auch Stefan Zweig mit an Bord, in der ersten Klasse freilich. Über Hans Mayer, einen ihrer jugendlichen Lieblingstänzer, sagt sie später „Der Brillaff nennt sich jetzt Kommunist!“ – und wenn die fein-papierne Korrespondenz zwischen ihr und dem verlierbar Lebenden im März 2009 mit dem Historischen Archiv zu Köln im Erdreich versinkt, dann hat wohl auch das etwas zu bedeuten. Gerold Paul

Marion Tauschwitz: Hilde Domin. Biografie. Dass ich sein kann, wie ich bin, VAT Verlag, Mainz 2011, 16,90 Euro

Gerold Paul

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