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Kultur: Wahre Meisterschaft

Dmitry Sinkovsky im Foyer des Nikolaisaals

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Nach ihr kann, darf nichts mehr kommen. Nur Applaus. Wer wie Dmitry Sinkovsky die Partita für Violine solo Nr. 2 d-Moll an das Ende seines Konzertprogramms stellt, setzt mit der abschließenden Ciacconna einen Höhepunkt, der nicht mehr überboten werden kann. Fällt der Applaus danach auch noch so heftig aus: eine Zugabe ist Tabu. Und dann das!

Sinkovsky hatte am Freitag im sehr gut besuchten Foyer des Nikolaisaals ein reines Bachprogramm geboten. Zur Eröffnung die Sonate Nr. 1 g-Moll, gefolgt von der Partita Nr. 1 h-Moll und als krönenden Abschluss besagte Partita in d-Moll mit dem abschließenden Hexenzaubervirtuosenwerk namens Ciacconna. Was Bach hier für die Violine solo geschrieben hat, gilt als Höchstes und ist bis heute unübertroffen. Wer die Ciacconna beherrscht, technisch und vor allem mit dem tiefen musikalischen Verständnis und das auch seinen Zuhörern vermitteln mag, der kann, der muss als wahrer Meister auf seinem Instrument bezeichnet werden.

Der 31-jährige Dmitry Sinkovsky ist ein Meister seines Instruments. Das bewies er schon mit der eröffnenden Sonate g-Moll. Der Ton seiner Barockvioline, ein Modell von Francesco Rugeri aus Cremona, erbaut 1675, sehnig muskulös, angenehm zurückhaltend, dabei aber immer getragen von einer nie nachlassenden Spannkraft. In den Tiefen gelegentlich herrlich ruppig, fast schon drohend, in den Höhen mit einem herzerfrischenden Strahlen. Adagio und Siciliano fast wie Meditationen, in denen das Virtuose nur schwer am Ausbrechen gehindert wird, Fuga und Presto dann als rasanter Virtuosenzauber. Die Sonatenform „langsam-schnell-langsam-schnell“ befolgte Sinkovsky hier mit einer Strenge, die für ein herrliches Kontrastieren zwischen Dunkel und Hell, sanfter Abenddämmerung und kraftvollem Morgenlicht sorgte.

Dmitry Sinkovsky spielte Bach mit einer gesunden Mischung von Kopf und Herz. Keine überintellektualisierte Interpretation, in der jeder Ton wie ein sakrales Heiligtum behandelt wird und die Sonaten und Partiten zu hoffnungsloser Schnarcherei verkommen. Bei Sinkovsky war da keine Scheu vor spieltechnischen Schwierigkeiten. Fast schon halsbrecherisch der Verve, mit dem sich Dmitry Sinkovsky in manche Passagen stürzte. Doch war es gerade dieser Wagemut, der bei aller lässigen Virtuosität, für die besonderen Momente sorgte, wenn sich das Double Presto in der Partita h-Moll so anfühlt wie ein sanft stechender Eisregen. Kein glattpolierter, sondern ein Bach mit Ecken und Kanten. Dann die Partita d-Moll.

Allemanda und Corrente wie tief berührendes Jubilieren, die Sarabanda als klangschönes Innehalten, bevor die herrliche Giga für den ersten Höhepunkt sorgte. Die Ciacconna nahm Sinkovsky mit leicht verstimmtem Instrument wie einen Parforceritt. Hier fehlte der Atem, folgte Variation auf Variation nicht selten ohne Punkt und Komma. Doch auch immer gab es diese besonderen Momente. Dann der Schluss, kräftiger Applaus, Sinkovsky bedankte sich mit leichtem Lächeln und verließ die Bühne. Kam nach einem kurzen Moment zurück und es deutete alles darauf hin, dass er sich mit einer Zugabe verabschieden würde. Und in die Verstimmung über dieses Sakrileg mischte sich Unglauben, als er die ersten Töne spielte, man sofort wieder die Ciacconna erkannte. Dieses Mal stimmte das Instrument. Dieses Mal war da der nötige Atem, der dieses tonale Kunstwerk strahlen ließ. Und man genoss einfach diesen Glücksmoment, dass ein Künstler sich nicht zufrieden gibt und sich noch einmal auf die Bühne stellt und zeigt, dass er es besser kann. Viel besser. Sich noch einmal verausgabt an dieser Ciacconna, diesem über zehnminütigen Variationenwucherwerk. Das ist wahre Meisterschaft! Chapeau, Dmitry Sinkovsky! Dirk Becker

Dirk Becker

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