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Kultur: Wandlungsfähig

Eine unkonventionelle Variante des Tango Nuovo brachte das Berliner Quartett „Vibratanghissimo“ in den Nikolaisaal

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Tango-Feeling paart sich mit klassischer Ausbildung und ist auf Swing gebettet. Das Ergebnis: eine unkonventionelle Variante des Tango Nuovo, den das Berliner Quartett „Vibratanghissimo“ seit über zehn Jahren pflegt. Übernommen aus der Obhut eines Astor Piazolla, haben die vier Musiker ihrem „Kind“ eine Menge an neuen und überraschenden Ideen auf seinen Lebensweg mitgegeben. Eigenwillig ist es mittlerweile geworden, aber uneitel geblieben. Es hat nicht der Väter Tradition über Bord geworfen, auch wenn der stattliche „Jüngling“ statt der traditionellen „Bekleidung“ mit Bandoneon und Geige nun eine peppige Gewandung aus Vibrafon, Bratsche, Klavier und Kontrabass bevorzugt. Diese Façon steht ihm ausgezeichnet. Davon konnte sich überzeugen, wer am Freitagabend das Glück hatte, einen der begehrten Plätze im ausverkauften Foyer des Nikolaisaals zu ergattern.

Von Anfang an ist überschaubar, was passiert, weniger aber wie. Die einzelnen Nummern sind nach gleichem Grundmuster gestrickt: Jeder Musiker, der auch moderiert, erhält sein Solo. Und immer sind es abrupte Wechsel vom leisen Intro hin zum leidenschaftlichen Thema, woraus sich ungeahnte Sprengkraft entwickelt. Hat jeder Musiker sein virtuoses und mit Improvisation reich versehenes Können ausgelebt, finden die Vier auf ebenso überraschende wie hemmungslose Weise zu einem harmonischen Zusammenspiel, das auf großer innerer Vertrautheit beruht. Man ergänzt einander, sucht den anderen nicht zu übertrumpfen, liebt allerdings, wie im sehnsuchtsvollen „Libertango“ von Piazolla, den klangknackigen, vierfach geschlegelten und brillant gezupften Wettstreit zwischen Vibrafon (Jazzer Oli Bott) und Kontrabass (Arnulf Ballhorn/Orchester Komische Oper). Im einleitenden Klaviersolo brilliert dagegen die Kammermusikerin Tuyêt Pham mit rollenden und grollenden Bässen, pointierten Staccati und rhythmischer Tangoperfektion. Einfach umwerfend.

Für vielfältigste schmachtende Klangverführungen sorgt Juan Lucas Aisemberg (Viola/Deutsche Oper), wenn er beispielsweise in der Bottschen „La Obertura“ galant über die Saiten gleitet. Auch erweist er sich als ein versierter und effektvoller Arrangeur, der beispielsweise die „Grille“ des Argentiniers Horacio Salgán höchst eigenhändig zum putzmunteren Zirpen animiert oder „La Equivoca“ (Die Trügerische) von Ariel Ramírez von ihrer zerrissenen, geradezu gewalttätigen Seite zeigt. Die „Zamba“ des Argentiniers Alberto Ginastera entpuppt sich als melancholische Variante der brasilianischen Schwester, die den Blues in sich trägt. Das „Triste“ genannte Stück offenbart sich weitgehend als solches, angesiedelt in fernöstlicher Exotik und explizit hervorgezaubert durch Vibrafon und Klavier.

In zwei weiteren, stimmungskontrastierenden Stücken kündet Oli Bott von seiner schier unendlichen stilistischen Wandlungsfähigkeit. Zum einen mit der tieftraurigen „Milonga obscura“, zum anderen bei der „Berlin“-Hommage, die er augenzwinkernd als „türkische Samba“ ankündigt und die sich als verwegenes, vorlautes Spiegelbild der Metropole vorzeigt. Und schließlich das selbstbewusste „Sonando Buenos Aires“ (Wir träumen von Buenos Aires), wohin die Truppe unbedingt fahren will, um sich an den Wurzeln des Tango zu laben. Doch erst einmal entlädt sich lautstarker Beifall, gefolgt von Zugaben. Peter Buske

Peter Buske

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