zum Hauptinhalt

Ausstellung im Pavillon auf der Freundschaftsinsel: Was also gibt es zu sehen?

Wolfgang Betkes Bilder im Pavillon der Freundschaftsinsel vermitteln einen neuen Blick auf die Kunst - unvoreingenommen, vorbehaltlos - und für jeden zu verstehen.

Stand:

Klick. Stille. Klick. Alle sechs Sekunden schießt die Kamera am Eingang des Pavillons auf der Freundschaftsinsel ein Foto. Dabei verändert sich der Raum, der von drei Seiten von Licht durchflutet wird, gar nicht. Im Gegenteil, es herrscht eine heitere Ruhe, die sieben, in spitzen Winkeln aufgestellten Klappwände aus Aluminium schimmern wie Wasser im diesigen Licht des Nachmittags. Die organischen Formen und Farbschlieren darauf unterstreichen den Wasser-Effekt mehr, als ihm etwas entgegenzusetzen.

Was also gibt es hier zu sehen? “Se faire voyant“ heißt die Ausstellung von Wolfgang Betke, was sich wörtlich mit „sich sehend machen“ übersetzen ließe. Das ist ein wenig irreführend, denn es geht hier eben gerade nicht darum, zum Seher zu werden, sich auf die esoterische Suche nach einer Art Erkenntnis zu machen. Betke geht es vielmehr um die Grundbedingung jeder Kunst: Das vorbehaltlose, das reine Sehen. Unbefangen an Malerei heranzugehen, das schafft allerdings fast keiner, die meisten scannen die Arbeiten sofort ab: Nach kunsthistorischen Bezügen, popkulturellen oder politischen Querverweisen, der Rolle der Bedeutung. Immer schreit im Hinterkopf die Frage: Was will der Künstler mir bloß sagen?

Vielleicht deshalb, weil es erleichternd ist, nicht auf sich selbst gestellt einem Werk gegenüberzutreten. Etwas zu haben, eine Theorie, eine Erklärung – und sei es nur eine kleine Texttafel – zur Entschlüsselung. Das will Betke umgehen. Dazu hat er, so heißt es im Begleittext zur Ausstellung – die natürlich dann doch existiert und einiges erklärt –, den Nullpunkt gesucht. Bei sich selbst, bei seiner Kunst. Hat versucht, Regeln zu vergessen, und improvisiert. Assoziiert. Und sich dann intuitiv selbst korrigiert.

Mit Schleifwerkzeugen hat er die meist zarten Farben auf den Aluminiumtafeln bearbeitet. Hat sie verwischt, verrieben, verletzt und in organische Formen gezwungen. Poröse Flächen von gelblichem Weiß erinnern an weißes Pulver auf Spiegeltabletts. Meist aber bleibt er abstrakt, hie und da lässt sich Leben erkennen. Wie dieses Mädchen, geformt aus losen Strichen, den Kopf auffordernd zur Seite gelegt. Das heißt: Ein Mädchen ist es nur, bis der Blick des Betrachters etwas tiefer gleitet. Vertrackte Sache, das mit dem vorbehaltlosen Sehen. In ihrer lässig hingeworfenen Blöße erinnert die Figur an die oft albernen, aber treffenden Zeichnungen auf Schultoiletten, diesen Leinwänden für all den Witz und die Wut der Jugend. In ihrer Direktheit ist diese konkrete Skizze auch ein schöner Kontrapunkt zur abstrakten Erhabenheit der anderen Arbeiten.

Die beiden blauen Seerosen auf einer silber polierten Fläche etwa, verbunden durch eine an der Oberfläche treibende Wurzel. Dieses Bild einer haltlosen, schwimmenden Wurzel, das vielleicht das treffendste für die Idee der Ausstellung. Betke scheint all die Reminiszenzen, all dieses „Schaut her, das alles habe ich gelesen, gesehen, verdaut“ über Bord zu werfen. Stattdessen lässt er den Betrachter auf irisierende Farb- und Spiegelflächen blicken, versucht also das, was Claude Debussy mit seinen impressionistischen Klavierstücken „Reflets dans l’eau“ schon gelang: eine heitere Meditation, die weniger nach außen als nach innen blicken lässt.

Statt Klänge nutzt Betke Farben und die sind, so hell und pastellig sie auf den ersten Blick wirken, nicht ohne Tiefe. Rot fehlt fast völlig, wenn es doch auftaucht, dann in rostfarbenen Schlieren oder fein gesprühtem Pink. Dafür findet man ein chemisches Türkis, das unweigerlich an die 1990er-Jahre erinnert: Graffiti, Schlumpfeis und bauchfreie Tops tauchen vor dem inneren Auge auf, das Airbrush-Pink schräg gegenüber ergänzt den Flashback nur. Oder dieses giftige Gelb, das – widersinnig genug – trotzdem das Wasser im Mund zusammenfließen lässt wie Brausepulver auf der Zunge.

Klick macht die Kamera wieder, 10 000 Bilder wird sie nach 24 Stunden gesammelt haben, den gesamten Lichtverlauf eines Tages im Pavillon eingefangen haben. Am nächsten Morgen wird ihre Position gewechselt, bis irgendwann alle Seiten der Klapptafeln in jedem erdenklichen Licht erschienen sind.

Mehr Halt als die eigenen Gedanken wird hier kein Betrachter finden, es gibt keine Ablenkung – nur Spiegel, die direkt die eigene Seele reflektieren. Das klingt vielleicht esoterisch. Therapeutisch. Ist es aber nicht, zumindest nicht in erster Linie. Wer sich darauf einlässt, tatsächlich zu sehen, überwindet die Distanz, die oft zwischen bildender Kunst und Publikum herrscht.

Die Ausstellung „se faire voyant“ mit Arbeiten von Wolfgang Betke ist noch bis zum 27. Juli im Pavillon auf der Freundschaftsinsel zu sehen. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet, am Sonntag, dem 20. Juli, lädt der Künstler um 17 Uhr zu einem Publikumsgespräch ein. Der Eintritt ist frei

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })