zum Hauptinhalt

Kultur: Was für ein Mensch!

Bernd Geiling liest aus „Johann Holtrop“

Stand:

Bernd Geiling hat sich von diesem Sog mitreißen lassen. Bereitwillig und mit wachsendem Vergnügen. Ein Formulierungsfuror, der rauschhafte Züge annimmt, wie Bernd Geiling sagt. Die Rede ist von „Johann Holtrop“, dem jüngsten Roman von Rainald Goetz. Am morgigen Samstag wird Geiling, Schauspieler am Hans Otto Theater, in der Reihe „nachtboulevard“ Auszüge aus „Johann Holtrop“ lesen.

Es hat lange gedauert, bis dieser Roman endlich erschienen ist. Immer wieder war er angekündigt worden. Immer wieder wurde seine Veröffentlichung verschoben. Und nicht wenige hatten gemutmaßt, dass Rainald Goetz, dieser gnadenlose Bloßsteller, mit diesem Roman längst schon gescheitert sei. Dann erschien im September „Johann Holtrop“ (Suhrkamp Verlag, 19,95 Euro). Und wieder einmal war es Goetz, der als Letzter und am lautesten lachte.

„Johann Holtrop“ wird gern als Wirtschaftsroman bezeichnet, weil Goetz den Aufstieg und Niedergang des Vorstandsvorsitzenden Johann Holtrop erzählt. Doch wenn Rainald Goetz ausholt, dann ist sein Rundumschlag ein gnadenloser, der die ganze Gesellschaft erwischt. Ob Wirtschaft oder Politik, die künstlerische Bohème oder das leidlich Zwischenmenschliche, all das durchleuchtet Goetz mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit und treibt es äußerst grotesk und so gekonnt wie kaum ein anderer immer wieder auf die Spitze. Es ist diese grelle Lust an der Satire, diese sprachgewaltige und schonungslose Bloßstellung der Perversionen unserer spätkapitalistischen Gesellschaft, die Bernd Geiling an „Johann Holtrop“ so schätzt. Und das mit einem Formulierungsfuror und einer Wucht, wie er es schon lange nicht mehr bei einem deutschsprachigen Schriftsteller gelesen hat.

Wenn Rainald Goetz schreibt, dann ist er getrieben von einer Wut, einem Erregungsgefühl. Wut als produktive Kraft in der Kunst, es ist diese Bedingungslosigkeit, die den Schauspieler Bernd Geiling an dem Schriftsteller Goetz so fasziniert, weil ein solches Erregungsgefühl auch ihn immer wieder auf die Theaterbühne treibt. Als ihm Helge Hübner, verantwortlicher Dramaturg der Reihe „nachtboulevard“, Goetz’ neuesten Roman als Lesung vorschlug, war da bei ihm sofort dieses besondere Gefühl. Und mit jeder Seite, die er las, wuchs seine Begeisterung.

Wie im Roman wird Bernd Geiling in seiner Lesung den Schwerpunkt auf den Niedergang von Johann Holtrop legen. Ein Machtmensch, der all die perfiden Spielarten eines Machtmenschen beherrscht. „Er braucht nur einen Raum zu betreten, schon verändert sich die Atmosphäre, werden die Menschen darin zu winselnden Tierchen“, sagt Geiling. Wie von George Grosz oder Otto Dix gemalt erscheint ihm dieser Johann Holtrop. „Grell überzeichnet, aber mit einer realistischen Ebene.“ Aber wo Grosz oder Dix oft mit Feinheiten arbeiten, da schwingt Goetz mit großem Schwung den Pinsel. D.B.

Bernd Geiling liest aus „Johann Holtrop“ am morgigen Samstag um 21 Uhr in der Reihe „nachtboulevard“ in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 4 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })