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Bach im Nikolaisaal: Was für ein Missverständnis

Das Badische Staatstheater Karlsruhe versuchte im Nikolaisaal zu Bachs Cellosuiten zu tanzen

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Bachs Solokompositionen sind Weltenschöpfungen. Ob für Violine, Klavier oder Violoncello, was Johann Sebastian Bach für diese Instrumente aufs Papier gebracht hat, ist und bleibt maßgebend. Diese Kompositionen brauchen Interpreten, die sich mit Hingabe und Tiefe auf sie einlassen. Dabei ist es egal, ob ein Musiker nun in intellektueller Auseinandersetzung oder mit voller Empathie sich die Brust aufreißend diesen Werken widmet. Wenn er zu deren Kern vorstößt, gelingt ihm eine Offenbarung. Und für den Zuhörer öffnen sich Welten. Welten voller Schönheit und Empathie, berührend, berauschend und beglückend. Ein Tanz der Herrlichkeit in einem nicht zu beschreibenden Licht.

Dem Choreografen Heinz Spoerli wird es so ergangen sein beim Hören von Bachs Goldberg-Variationen für Klavier und den sechs Suiten für Violoncello solo. Ihm werden sich Bilder und Einsichten offenbart haben, die ihn beglückten und die er gerne teilen wollte. Nur leider hat Spoerli nicht verstehen oder nicht einsehen wollen, dass der Zauber dieser Welten immer nur darin besteht, dass jeder Zuhörer, jeder Musiker sie für sich allein erlebt. So ist das ja mit jeglicher Musik. Nur bei Bachs Solowerken ist es das ganz besonders. Doch wie schon gesagt, der 74-jährige Heinz Spoerli hat sich davon nicht beirren lassen. Was dabei herauskommt, war am Samstag im ausverkauften Nikolaisaal zu erleben, als 26 Tänzerinnen und Tänzer des Badischen Staatsballetts Karlsruhe „In den Winden im Nichts“ zu drei ausgewählten Suiten zur Aufführung brachten.

Nun muss an dieser Stelle eingeräumt werden, dass von Anfang an eine gewisse Skepsis gegenüber dieser Verbindung von Bachs Kompositionen mit Ballett bestand. Denn es gibt zwar viel Musik, für die Tanz oder andere künstlerische Zusätze bereichernd sein können, für die Solowerke von Johann Sebastian Bach aber trifft das nicht zu. Diese Werke sind so reich und umfassend, so vielschichtig und herausragend, dass sie sich selbst genug sind. Und nicht nur das, sie fordern vom Musiker wie vom Zuhörer vollste Konzentration, bedarf es keiner Ablenkung. Zwar hat Heinz Spoerli schon mehrfach die Musik von Bach mit dem Ballett verbunden, gibt es mittlerweile auch das Projekt Flying Bach, in dem Breakdancer zu Auszügen aus dem „Wohltemperierten Klavier“ tanzen und das alles recht erfolgreich. Nur ändert das nichts an der Tatsache, dass das der Musik von Bach nicht gerecht wird. Im Gegenteil, die Musik wird hier sehr schnell nur zu einer Art Hintergrundrauschen.

Mit Bachs Suite Nr. 2 in d-Moll eröffnete das Badische Staatsballett Karlsruhe den Abend im Nikolaisaal. Cellist István Várdai hatte am linken Bühnenrand Platz genommen, denn der Hauptraum gehörte den Tänzerinnen und Tänzern. Sergio Cavero hat für dieses Bachballett eine schlichte Bühne entworfen. Die Seiten regalartig, sodass mehrere Tänzer zugleich auf die weite Fläche treten können, ansonsten nur ein rohrartiges Oval im Hintergrund, aus dem im Laufe des Abends immer mal wieder bedeutungsschwanger Nebel wabert.

Den tänzerischen Auftakt gab Falvio Salamanka im Prélude in bordeauxrotem Hemdchen und Höschen. Ihm folgten in der Allemande vier weitere Kollegen im gleichen bordeauxfarbenen Kostüm. In der Courante kam es dann zur ersten Pärchenbildung. Ein ständiges Gegen- und Miteinander war da zu erleben, mal in kleiner, mal in größerer Formation. Um das menschliche Miteinander scheint es hier zu geben, laut Programmheft aber auch um das Element Wind. Der war dann wahrscheinlich im Prélude der Suite Nr. 3 in C-Dur zu erleben, als sechs Tänzer mit freiem Oberkörper und bodenlangen Röcken über die Bühne fegten. Ganz ehrlich, was dort tänzerisch geboten wurde, ließ einen dann doch ratlos zurück.

Es gab viel Haut zu sehen, klassische Ballettpositionen und Akrobatisches. Die Tänzerinnen und Tänzer waren hier klar gefordert. Manches, was da zwischen Mann und Frau getanzt wurde, war, um es diplomatisch auszudrücken, recht frivol. Wollte man es auf den Punkt bringen, doch recht anzüglich. Aber was das alles mit der Musik von Bach zu tun haben soll, blieb ebenfalls ein großes Rätsel. Hinzu kam, dass das, was die Tänzerinnen und Tänzer im Nikolaisaal boten, oft sehr angestrengt und hölzern wirkte. Wenn dann mehrere die gleichen Figuren tanzten, war das selten stimmig. Und als alle 13 Tänzerinnen in der abschließenden Suite Nr. 6 in D-Dur auf die Bühne kamen und sich gemeinsam einer Choreografie widmeten, musste man befürchten, dass das alles bald im Chaos enden würde. Lagen diese Unstimmigkeiten, dieses angestrengt Hölzerne, vielleicht daran, dass „In den Winden im Nichts“ mittlerweile schon elf Jahre alt ist, das Badische Staatsballett diese Inszenierung in der aktuellen Spielzeit wieder ins Programm genommen hat und der Abend in Potsdam die erste Aufführung, gewissermaßen die Generalprobe war?

Schloss man die Augen und konzentrierte sich auf das Spiel von István Várdai, wurde eine weitere Befürchtung bestätigt. Denn der Cellist konnte sich nicht, wie es bei diesen Kompositionen im Grunde zwingend ist, ausschließlich auf die Musik konzentrieren, sondern musste immer wieder das Geschehen auf der Bühne beobachten, was dann im Programmheft als Dialog verkauft wurde. Von Tiefe und Hingabe war hier nichts zu spüren, auch wenn Várdais Spiel der Suite Nr. 3 noch am ehesten überzeugte. Bei der Suite Nr. 6, der intensivsten und vielleicht sogar herausragendsten in diesem Zyklus, kam dann jedoch gelegentlich leichte Krisen- und Überforderungsstimmung auf.

Es wurde viel geklatscht an diesem Abend. Zwischen den einzelnen Sätzen und oft auch in den Sätzen. Was aber auch nur Ausdruck für ein fehlendes Verständnis von Bachs Musik ist. Am meisten aber erschütterte einen dann doch, wie sehr diese Kompositionen, auch wenn in den einzelnen Sätzen klassische Tänze zitiert werden, missverstanden werden können. Das Scheitern auf ganzer Linie ist dann letztendlich aber nur plausibel.

Dirk Becker

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