Kultur: Was ist Klang, was Geräusch?
Die Kammerakademie Potsdam begab sich in der Reihe „KAPmodern“ auf die Suche nach originellen Antworten
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Wie oft wartet der Fußgänger an einer autobelebten Straße darauf, dass er unbeschadet von einer Straßenseite auf die andere gelangen kann. Doch das kann dauern. Geräusche reizen seine Sinne, lassen ihn missmutig werden. In der Zwischenzeit könne er darüber nachdenken, dass dieser Straßenraum zugleich auch ein Klangraum ist, den man als solchen nur bewusst wahrnehmen müsse. Meinen jedenfalls jene einst Komponisten genannten Klangorganisateure, die sich mit solchen Klanglandschaften, neudeutsch: soundscape, beschäftigen. Zur Bekräftigung ihrer Ansichten führen sie gern die Autohuperei nebst Straßenlärm in Gershwins „Ein Amerikaner in Paris“ an, bemühen Arthur Honeggers orchestrale Lokomotivenhommage „Pacific 231“. Und vergessen dabei gern, dass diese Tonsetzer solche urbanen Geräusche nicht pur ihren Werken einverleibten, sondern nachahmend in instrumentalen Klang verwandelten. Kaum etwas findet sich davon in den Werken jener fünf Komponisten, die, von Mitgliedern und Gästen der Kammerakademie Potsdam dargeboten, am Mittwoch im Nikolaisaal-Foyer für einen spannenden Auftakt der KAPmodern-Saison sorgten.
Doch was unterscheidet ein Geräusch vom Klang? Während dieser sich als Grundton mit mitklingenden periodischen Obertönen definiert, ist jenes ein aus unregelmäßigen Schwingungen bestehendes Frequenzgemisch. Näheres dazu erfährt der Interessierte vor Konzertbeginn bei einem Vortrag im Einstein-Forum am Neuen Markt. Nach der Theorie und ein paar Häuser weiter gibt es dann die Praxis zu erleben. Mit dem Stück „Atopia“ (Ortlosigkeit) lässt uns der anwesende griechische Zypriot Yannis Kyriakides an einem selbsterlebten Sandsturm und dem damit verbundenen unheilvollen Dröhn-Sound teilhaben. Die technisch analysierten und gefilterten Interferenzen, gleichsam als sich reibende Sandkörner, werden per Computer eingespielt. Dazu erklingen Altflöte (Bettina Lange), Viola (Ralph Günthner) und Vibraphon (Friedemann Werzlau), deren Liveklänge verstärkt und elektronisch verfremdet werden. Das Ergebnis ist gewollt diffus.
Originell organisiert sind die Tonfolgen auch im Stück „In C“ für Ensemble des Miterfinders der Minimal Music, Terry Riley, das sich als ein zwanzigminütiges Supercrescendo entpuppt. Einförmig, aber nicht eintönig mäandern die winzigen harmonischen Veränderungen durch feinverästelte Klangräume, währenddessen Pianist Symeonidis Prodromos ständig das „C“ hämmert. Ziemlich verwegen zeigt sich das vom zugespielten Rauschen diverser Haushaltsgeräte nur so strotzende Stück „Allmählich aber die Gedanken einschläfernd“ von Hannes Seidl. Eine stehende, riesig aufragende Kontrabassklarinette (Theo Nabicht) mischt Töne wie Spinatblubbs hinzu. Aus der urbanen Diesseitigkeit schöpft ebenfalls der Wiener Bernhard Lang für seine „loops from the 4th district“ für Zuspielungen und Kontrabass (Arnulf Ballhorn). Geräuschvolle Außenaufnahmen verbinden sich mit perkussiven Attacken und quietschenden Tönen zum Klangabbild einer Großstadt. Zügellos, sich jeglicher Harmoniesucht verweigernd führt sich Friedrich Schenkers „Foglio II“ als ein gemäldeinspirierter Galerierundgang vor. Die Klänge realer Instrumente sorgen für intervallreiche, geräuschhafte, von Schlagwerkattacken begleitete Höreindrücke. Das sehr gut besuchte Konzert wird mit viel Beifall bedacht. Peter Buske
Peter Buske
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