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Kultur: Was ist Kunst?

Rolf Julius durchbricht im Kunstraum in der Schiffbauergasse Sehgewohnheiten

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Wenn wir in eine Ausstellung kommen, erwarten wir schöne Dinge, neue Perspektiven und Blicke, die unser ästhetisches Herz erfreuen. Damit hat Rolf Julius, der 1939 in Wilhelmshaven geboren wurde, nichts am Hut. Er plädiert in seiner am Samstag im Kunstraum eröffneten Ausstellung für einen „Blick nach unten"“. In der Tat sucht man erst mal eine Weile, bis man sich mit dem scheinbaren Durcheinander von Töpfen und Technik so weit arrangiert hat, um einen Zugang zu finden.

Die Durchbrechung des Gewohnten ist seit alters her eine der Haupteigenschaften der Kunst, und die hat Rolf Julius verinnerlicht. Er arbeitet mit der synästhetischen Gestalt von Tönen. Man nennt ihn einen „Klangkünstler“, aber auch der Freund der Töne wird eine Weile horchen müssen, bis er sich dem Gebotenen klangliche Dis- oder auch Harmonie abgewinnen kann. Zuerst einmal ist an der großen linken Wand beim Entrée eine kleine Installation angebracht, da laufen feine schwarze Drähte von einem Klangknopf zum nächsten und setzen nur einen feinen Akzent auf der großen weißen Wand. Schon allein dies sei eine ästhetische Position, sagt seine Vermittlerin, eine Amerikanerin. Stellt man sich daneben, hört man Töne, die entfernt an Vogelgezwitscher, Wassergetröpfel, Windrauschen und andere eigentlich eher untergeordnete Geräusche erinnern. Doch die große weiße Wand verändert sich, wenn man davor steht, in eine Landschaft, die durch die eigene Imagination gestaltet wird. Allmählich macht sich so etwas wie eine leichte Trance-Stimmung bereit, die auf die bekannte Welt der harten Sensationen zumindest eine Zeitlang zu verzichten bereit ist. Wendet man sich dem Durchgang zu, findet man sich vor ein scheinbares Chaos auf dem Boden abgestellter Utensilien befördert. Wok-Töpfe leiten den Weg. Entweder es ist nichts in ihnen außer den Gebrauchsspuren, oder sie wabern unter einer lockeren Asche-Beschichtung, die sanft und schwarz den Boden bedeckt. In dieser scheinbar willkürlich zusammengestellten Reihe von Töpfen behaupten Walk-Men, Lautsprecher-Trichter und japanische Teeschalen in unterschiedlichen Farben ihr Existenzrecht und geben der Flüchtigkeit der akustischen Wahrnehmung nur ein sehr instabiles visuelles Gesicht.

Aus den Technikinstallationen kommen wieder Töne, aber das dominante Gefühl, dass Töne extrem flüchtig sind, behauptet sich auch hier. Versucht man, sich in der folgenden Installation, die immerhin mittels kleinen Bildschirmen am Boden auf der rechten und linken Seite im Treppenfoyer eine Art Dialog einzugehen scheinen und "Winter" und "Sommer" heißen, einen bleibenderen Eindruck zu erhalten, so geht man wiederum fehl. Erschwerend kommt hinzu, dass das neumusikalisch ungeübte Ohr einfach nicht in der Lage ist, die Geräusche, pardon Musik der ersten Installationen von jenen der Zweiten zu trennen.

Das Zentrum der Ausstellung kommt noch minimalistischer daher. In der Mitte des großen Raumes befindet sich - ein kleiner, minimaler, aufgeschütteter Sandhaufen. Tritt man in den Raum ein, hört man tatsächlich Töne wie Meeresrauschen, Windböen, hier und da mag auch eine Zikade zirpen, aber sicher ist auch hier eher die Verunsicherung des Hör- und Sehvermögens beabsichtigt als eine Oase der Stille oder einen Meditationsraum zu schaffen. Was ist es aber dann? fragt sich der moderne, von den Zerstreuungen des Fernsehens bis hin zum „second life“ immer auf den Höhepunkt zustrebende Besucher und findet nur: Verunsicherung. Keine Bestätigung, komplette Verweigerung visueller und akustischer Ästhetik. Das kann man bis zur Spitze, die nach dem Wendeltreppenaufstieg erfolgt, treiben. Zwar hängen da in einer wirklich nie gesehenen und atemberaubend schön wirkenden Harmonie ganz viele Lautsprecher von der Decke und schaukeln vor sich hin, aber die Erkenntnisfähigkeit gähnt erschöpft vor der Installation, die um das Treppenrund herum aufgebaut ist. Drei Lautsprecher trichter, zu deren Füßen fotografische Abbildungen der Farbe schwarz lagern, sondern ephemere Töne ab, die sogar der gutwilligste Besucher nur schwer mit dem Eindruck SCHWARZ in Einklang zu bringen versteht. Einfach, weil er nichts hört. Oder vielleicht inzwischen schwerhörig geworden ist. Sicher vertritt Rolf Julius eine wichtige Position in modernen Kunst, schließlich war er schon auf der „documenta“ vertreten und gilt als einer der wichtigsten modernen Klangkünstler, aber man hat es schwer auf der Suche nach den verlorenen Bildern und Tönen, ihm zu folgen.

Verweigerung der Wahrnehmung aber ist sicher eine sehr ernstzunehmende ästhetische Position, und wer mitreden möchte in der modernen Kunst, muss diese Ausstellung unbedingt besuchen.

Bis 22.April, Mi-Fr 12-18 Uhr, Sa-So 10-18 Uhr, Kunstraum, Schiffbauergasse

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