
© Jan Kixmüller
Projekt von Künstlern aus Potsdam: Was macht das gute Leben aus?
Das Projekt „Das gute Leben“ bringt die Kunst in den öffentlichen Raum der Landeshauptstadt Potsdam. Und wirft viele Fragen auf.
Stand:
Potsdam - Wie beschränkt die meisten Menschen die allermeiste Zeit denken, das wird oft erst klar, wenn es jemand einmal anders macht. Meist sind das Künstler, denn deren Job ist es ja eben nicht, von 9 bis 17 Uhr im Büro zu sitzen. Dafür sind geistige Beschränkungen ja in der Regel hilfreich, weil man effizienter ist, wenn man nicht ständig nach rechts, links und um die Ecke denkt. Künstler aber machen das. Weil sie etwas Außeralltägliches schaffen wollen. Was aus ökonomischer Sicht zweckfrei ist – sinnlos ist ihre Arbeit deshalb natürlich nicht. Erst vom Standpunkt abseits und überhalb der Sachzwänge lassen sich manche Zusammenhänge erkennen. Oder über das Wesentliche nachdenken. Das gute Leben etwa. Denn mal ehrlich: Wie oft fragt man sich denn schon zwischen Arbeit, Kindern und Kollegen, ob das alles wirklich gut ist – oder ob es nur eben so für einen selbst funktioniert?
Künstler fragen nach dem guten Leben
Ganz konkret fragen derzeit die Künstler des Atelierhauses Panzerhalle in Potsdam nach dem guten Leben. Noch bis zum 17. Oktober zeigen sie ihre Kunst – mal draußen, etwa im Stadtkanal wie Birgit Cauer, in der Fachhochschule oder in der Gregor-Mendel-Straße Nummer 34, veranstalten sie Panels, Debatten, fragen nach dem Zusammenhang von Kunst und Nomadentum, nach dem Sinn, Zweck und Machbarkeit von Grundeinkommen und kultureller Grundversorgung oder einfach nach dem Überleben.
Ihr Projekt „Das gute Leben“ knüpft dabei an das Projekt „Faszination und Fassade“ vom vergangenen Jahr an, das sich vor allem mit der architektonischen Transformation Potsdams – und den fehlenden Räumen für zeitgenössische Kunst beschäftigte. Diesmal geht es den Panzerhallen-Künstler mehr um die Menschen und wie sie sich zu ihrer Umgebung verhalten.
Die Kehrseite muss deutlich werden
Um den Betrachter zu erschüttern, braucht es dabei manchmal nicht mehr als ein bisschen Lametta. Wie aus Bonbonpapier gewirkte Algen sieht das aus, was sich da über den Boden reckt, die Wände hochwabert. Man muss nicht wissen, dass die Installation von Cécile Wesolowski aus billigen Rettungsdecken gefaltet ist, die in den Krisengebieten überall auf der Welt eingesetzt werden, um Menschen vor Unterkühlung zu schützen, um sie sofort mit der beschämenden Realität an den Grenzen Europas zu assoziieren. Eigentlich wollte Wesolowski ein doppeltes Spiel spielen, erst auf den zweiten Blick sollte der opulente Flitter wie Potsdamer Rokkoko wirken, das Grauen sich erst auf den zweiten Blick einstellen. Weil das Leben derzeit aber jenseits von gut ist, funktioniert ihr Trick nicht so richtig.
Andererseits, behauptet die Künstlerin Bettina Schilling, werde das gute Leben nur erkennbar, wenn die Kehrseite deutlich wird. Schillings scherenschnittartige Figuren, die direkt neben der Arbeit von Wesolowski hängen – eine Utopie ex negativo also? „Inmitten von Chaos, Krieg, Bedrohung seinen Weg zu gehen, unaufhaltsam und scheinbar ohne sich von den Zumutungen der Welt anfechten zu lassen, ist eine Eigenschaft, die vielleicht auch den „gut lebenden“ Menschen auszeichnet“, schreibt Schilling. Dabei gehe es ihr vor allem um die Kehrseite des Wohllebens. Vorbild ihrer Arbeit ist die Tolle Grete von Pieter Bruegel des Älteren, eine Figur, bei der auf den ersten Blick nicht auszumachen ist, ob sie Wahnsinn oder Besonnenheit und Zielstrebigkeit verkörpert.
In Potsdam scheint das gute Leben zum Greifen nahe
Man kann darüber streiten, wie gut ein Leben ist, das sich nicht anfechten lässt. Klar ist jedenfalls: Die Künstler der Panzerhalle sind sie nicht die ersten. Nach dem guten Leben suchten schon die Menschen seit der Antike – suchen die Menschen eigentlich schon, seit ihr Sein nicht mehr nur durch Überleben, sondern auch durch Zivilisation geprägt ist. „In Potsdam“, schreiben die Künstler, „scheint das gute Leben bisweilen zum Greifen nahe“: Blühende Landschaften, Schlösser, Parks – die Lebensqualität scheint höher als anderswo. Aber ist die Lebensqualität Einzelner dasselbe wie das gute Leben? „Auch hier bewirkt das Streben vieler nach dem privaten Glück komplexe Verdrängungsprozesse“, schreiben die Künstler weiter. Sprich: Wie gut kann das Leben sein, wenn es auf Ungerechtigkeit basiert, wie richtig ein Leben in falschen Umständen?
Und weil in Potsdam um nichts lieber gestritten wird als über alte oder weniger alte Steine, ist hier ein guter Punkt, um anzusetzen, das Gehirn mal ein bisschen überborden zu lassen. Das macht der Künstler Reiner Maria Matysik – und zwar sehr anschaulich. Auf einem Transparent in der Ausstellung in der Fachhochschule ist es bereits skizziert, das „Museum of Advanced Biology“. Ein neues Museum für Potsdams Mitte solle es sein – und nein, nicht verpackt und verschachtelt in ein Neobarockes Schatüllchen, sondern ein eigenständiges Wesen, das alles mit einbezieht. Und zwar buchstäblich: Der organische Baukörper, schreibt Reiner Maria Matysik, wird sich „über ein Viertel des Alten Marktes erstrecken und eine organische Verbindung zwischen dem Potsdam Museum, dem Museum Barberini und dem Landtag schaffen und diffundierend in diese Institutionen hineinragen.“
Kunst und Politik zusammendenken
Auf dem riesigen Plakat in der Fachhochschule sieht das dann aus, als wäre der Grimm’sche Griesbrei übergekocht – oder als hätte sich Gott die Zähne geputzt und den Rest Zahnpasta genau über dem Alten Markt ausgespuckt. Eine friedliche, weiße, schaumige Masse ist es jedenfalls, vielleicht auch überquellendes Hirn, das endlich alles zusammendenkt, was die einzelen Gebäude vor lauter Funktionieren nicht verstehen. „So lässt es die beschränkte politische Arbeit des Landtags ebenso hinter sich wie die althergebrachten Vorstellungen von Kunst und die Befragung der Geschichte zur Standortbestimmung der Gegenwart“, schreibt Matysik.
Das klingt ziemlich gespreizt, aber im Grunde ist es klar. Kunst und Politik muss man zusammendenken, ganz im Sinne der Dialektik der Aufklärung darf es keine pure Vernunft und keine reine Mystifizierung geben. Und die Gegenwart zur steifen Puppe für die ollen Klamotten der Vergangenheit zu machen, ist schon mal gar keine gute Idee.
Aktuelle Brisanz
„Die Frage nach einem guten Leben bewegt die Menschen, hier wie anderswo – und vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsströme aus der Suche nach einem guten, einem sicheren Leben, ist die Ausstellung von aktueller Brisanz und Bedeutung“, stellte denn auch Brandenburgs Kulturministerin Sabine Kunst (SPD) bei der Eröffnung der Ausstellung am Sonntagnachmittag fest. Besonders begrüßenswert sei es deshalb, dass das Projekt nicht nur als Schau konzipiert sei, sondern es Anregungen gebe, zu diskutieren. „Dazu passt, dass die Künstler in den kommenden Wochen Flüchtlinge, die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft untergebracht sind, in ihr Atelier zu gemeinsamen Projekten einladen wollen“, so Kunst weiter. Das sei ein positives Beispiel einer engagierten Willkommenskultur – „davon brauchen wir mehr“.
Ausstellungen und Diskussionen finden bis zum 17. Oktober in Potsdam statt. Das volle Programm zu „Das gute Leben“ ist hier abrufbar >>
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: