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Mit Kontur. Elke Heidenreich.

© A. Klaer

Kultur: Was Sehnsucht vermag

Elke Heidenreich gastierte im Nikolaisaal

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Sie könnten gegensätzlicher kaum sein, der elegante russische Tänzer Rudolf Nurejew und sein plumper kurzbeiniger Hund Oblomow. Eher zufällig hatten die beiden einander gefunden und schnell Freundschaft geschlossen. Und während der alte träge Hund seinem Herrn nicht mehr von der Seite weicht und ergeben neben ihm her schlurft, fliegt und gleitet der weltberühmte Tänzer und Choreograf Nurejew geradezu schwerelos durchs Leben. So unterschiedlich dieses Paar in Elke Heidenreichs anrührender Erzählung „Nurejews Hund oder Was Sehnsucht vermag“, so von Gegensätzen geprägt ist auch die „Symphonische Fantasie“, die von Marc-Aurel Floros dafür eigens komponierte und von der Potsdamer Kammerakademie gespielte Orchestermusik, die Montag im fast ausverkauften Nikolaisaal ihre Uraufführung feierte.

Noch bevor Elke Heidenreich, die vor den Musikern Platz genommen hat, ihren Text mit klarer betonungssicherer Stimme vorzulesen beginnt, spielt die Kammerakademie unter Leitung von Judith Kubitz eine Suite aus dem Ballet „Schwanensee“ von Tschaikowski. Eine schöne und passende Einleitung in die Welt des legendären, 1993 verstorbenen Startänzers, hatte Nurejew diese Musik doch häufig getanzt und choreografiert. Reizvoll, komplex und doch in ihrem jeweiligen Gesamteindruck recht ungewöhnlich erweisen sich dagegen die großen musikalischen Abschnitte, die den einzelnen, von Elke Heidenreich vorgelesenen Erzählpassagen auf dem Fuße folgen. Jeder dieser drei Sätze der „Symphonischen Fantasie“, für die sich der Komponist Floros ganz bewusst entschieden hat und zwischen die der Text jeweils eingepasst wird, macht das Erzählte auf diese Weise nochmals sinnlich nacherlebbar und intensiviert. Wie Nurejew etwa auf einer Party des Schriftstellers Truman Capote an seinen neuen vierbeinigen Freund Oblomow gerät, wie dieser bald darauf, schwerfällig, faul und doch entzückt, dem schönen, dynamischen „Tanzgott“ beim Pirouettendrehen zuschaut oder wie der große plumpe Hund späterhin, nach dem Tod seines Herrn, selber Tanzschritte einübt – all die vielen oft köstlich komischen und zugleich tieftraurigen Schilderungen in der bezaubernden Erzählung Heidenreichs beginnen durch Floros’ suggestive moderne Vertonung Gestalt anzunehmen und werden durch die brillante Darbietung der Potsdamer Kammerakademie zu einem erstklassigen Hörerlebnis. So erinnert die oft episch abenteuerliche Musik mit ihren mal vollen, mal zarten Streicherteppichen im steten Zusammenspiel mit einzelnen Bläsergruppen an Filmsoundtracks.

Häufig ziehen sich die zunächst lieblich verträumten Melodiebögen, hier heiter verspielt, dort wieder melancholisch betörend, wie eine Brise durch den Saal. Immer wieder aber wird das Sanfte und Harmonische von bedeutungsschwer wogenden Klängen ins Bedrohliche getrieben oder auch durch schrille Töne jäh unterbrochen. Wie Fontänen schießen die Überraschungen aus diesem Klangbild hervor, geben sie schon wieder eine andere Richtung vor, so als bestätigten sie jedes Mal neu das Auf und Ab von Wildheit und Eleganz. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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