Kultur: Was sich auf Toilettenpapier so alles findet Hans-Eckhardt Wenzel hat sich Unveröffentlichtem von Woody Guthrie angenommen
Es sind nie wenige, die aus einem klingenden Namen Kapital zu schlagen versuchen. Da brachte der traditionsreiche, amerikanische Akustikgitarrenhersteller Martin kürzlich eine Gitarre mit dem Zusatz „Woody Guthrie“ auf den Markt, um so dem großen Folksänger auf seine Weise zu gedenken.
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Es sind nie wenige, die aus einem klingenden Namen Kapital zu schlagen versuchen. Da brachte der traditionsreiche, amerikanische Akustikgitarrenhersteller Martin kürzlich eine Gitarre mit dem Zusatz „Woody Guthrie“ auf den Markt, um so dem großen Folksänger auf seine Weise zu gedenken. Diese Gitarre, so versprach die Werbung, sei eine genaue Replik der Gitarre, auf der Woody Guthrie seine Lieder zu begleiten pflegte. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass Guthrie damals ein ganz normales Serienmodell zum akzeptablen Preis spielte. Das wiederaufgelegte Modell wechselt für ein Sümmchen den Besitzer, das manchem Zeitgenossen die Haare zu Berge steigen lässt. Auch Hans-Eckardt Wenzel schlägt Kapital aus dem Erbe des Sängers Woody Guthrie (1912-1976), doch ist dies weniger finanzieller Natur. „Ticky Tock“ heißt das Album, das Wenzel zusammen mit seinen Musikern einmal in Englisch und einmal in Deutsch aufnahm. Bisher 14 unbekannte Lieder aus dem Nachlass von Guthrie, dessen „This land is your land, this land is my land“ sein wohl bekanntester Song ist und der die Kunst der Liedermacher wie sie Bob Dylan und Pete Seger zur Größe brachten, erst mit ins Leben rief. „Ticky Tock“, so auch der Name der Konzertreihe, mit der Wenzel am Freitagabend im al globe Station machte. Wie kommt Wenzel, der in der DDR unter anderem mit Steffen Mensching erfolgreich mit dem Liedtheater „Karls Enkel“ tourte, dazu, ausgerechnet Lieder von Woody Guthrie zu vertonen? Wer ihn im al globe erlebte, dem wurde schnell klar, warum Nora Guthrie, Tochter und Nachlassverwalterin des großen Sängers, vor drei Jahren nach einem Konzert Wenzel in der Garderobe ansprach und ihn bat, nach New York zu kommen, um sich dort im Archiv unveröffentlichte Lieder auszusuchen, die er vertonen solle. Wenzel, der immer aussieht wie ein zerzauster Clown, auf der Bühne ist er pure Präsenz. Gleich mit dem ersten Lied „Ich bleib lieber bei Daddy“ zeigte Wenzel, was er an Guthrie so schätzt. Die Kraft, das Archaische, das Wenzel förmlich herausbrüllte, während die Band den anfänglichen Blues in eine wilde Polka trieb. Aus etwa 3000 Texten, Fragmenten und Skizzen, manche auf Servietten oder gar Toilettenpapier gekritzelt, so Wenzel, konnte er in New York auswählen. Er entschied sich vor allem für die, die er am liebsten selbst geschrieben hätte. Liebeslieder, Kinderlieder aber auch politisch-idealistische, die er alle selbst vertonte, sind so in sein Programm eingeflossen. Zuerst im Original aufgenommen, um ein Gefühl für die schlichte aber kraftvolle Poesie von Guthrie zu bekommen, hat er sie dann ins Deutsche übertragen. Kraftstrotzend seine Interpretationen, denen immer noch die Einflüsse, die auf Guthrie wirkten, anzuhören sind. Das Stupende des Countryblues und die sich wiederholenden doppelten Verneinungen im Text, Wenzel und seine hervorragenden Musiker ließen Guthrie an diesem Abend neu erleben. Dazwischen Eigenkompositionen, vertonte Texte des österreichischen Dichters Theodor Kramer (1897-1958) und die unbeschreiblichen, ironisch-wohldurchdachten und slapsticksatten Ansprachen Wenzels. Gut drei Stunden währte die ausgelassene Reise durch die Welt von Guthrie und Wenzel. Gut drei Stunden, die dem Publikum noch lange nicht genug waren.Dirk Becker
Dirk Becker
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