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Kultur: Was von HipHop-Tänzern zu lernen ist

Sandrine Maisonneuve tanzt bei Festivaleröffnung

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Sandrine Maisonneuve tanzt bei Festivaleröffnung Im Foyer des Hotels Mercure sitzt mittags fast die ganze Compagnie „La Baraka“ (Arabisch: Glück) zusammen und plant einen Ausflug nach Berlin. Noch ist Zeit für Sightseeing, am Abend werden die Franzosen mit „Allegoria Stanza“ die Potsdamer Tanztage eröffnen. Ausgelassene Stimmung wie auf einer Klassenfahrt, gegenseitiges Necken, Erkundigungen nach dem typischen Berliner Schnaps. Und natürlich gehen sie alle zusammen, warten geduldig, bis Sandrine Maisonneuve das Interview beendet hat. In diesem Gespräch erzählt sie von den schwierigen Anfängen der inzwischen harmonischen Gruppe: Drei HipHop-Tänzer und sieben Tänzer aus dem zeitgenössischen Tanz – da prallten unterschiedliche Lebenswelten aufeinander. Die zierliche Tänzerin Sandrine Maisonneuve kennt den Choreographen und Tänzer Abou Lagraa, der diesen Zusammenprall zu verantworten hat, schon über zehn Jahre. Sie studierten zusammen auf dem staatlichen Konservatorium in Lyon zeitgenössischen Tanz. Heute ist sie 32, lebt als freie Tänzerin und Performerin in Paris und hatte bisher das Glück, ein Projekt nach dem anderen angeboten zu bekommen. Er, dessen Eltern aus Algerien und Ägypten stammen, ist 34, begann 1997 erfolgreich mit dem Choreographieren und schaffte mit „Allegoria Stanza“, das 2002 bei Paris Premiere hatte, den internationalen Durchbruch. „Er sieht dich, fühlt dich, er ist wie ein Tier: Er folgt seinen Instinkten“, erzählt Sandrine Maisonneuve. Abou Lagraa sei nicht wie viele andere Choreographen, die eine klare Idee hätten und diese den Tänzern erklärten: „Abou Lagraa redet nicht. Er tanzt, und wir müssen folgen.“ Doch bei der ersten Probe zu dem, was dann „Allegoria Stanza“ wurde, folgte niemand Abou Lagraa. Die HipHoper drängten sich vor dem Spiegel, sie waren es gewohnt, sich beim Tanzen selbst zu beobachten. Und die zeitgenössischen Tänzer starrten auf dieses seltsame Schauspiel. Doch die HipHoper mussten nicht nur vom Spiegel weggeholt, sondern auch in den üblichen Probenalltag eingebunden werden. Es galt, Tänzer, die nur tanzen, wenn sie Lust darauf haben, wenn sie Druck loswerden müssen, daran zu gewöhnen, morgens um Zehn im Studio zu sein. Sie sei fasziniert von der Präsenz dieser Tänzer, erzählte Sandrine Maisonneuve. Zwar waren es die zeitgenössischen Tänzer, die pünktlich zur Probe erschienen, doch es waren die HipHoper, die wirklich da waren, wenn sie tanzten. Während die anderen noch reflektierten und versuchten, die Umgebung aufzunehmen, standen die HipHoper im Jetzt: „Sie waren direkter mit ihren Bewegungen.“ Nach einem heftigen Krach zwischen allen Beteiligten, habe der Austausch langsam begonnen. Abou Lagraa jagte seine Gruppe durch einen Bewegungsablauf, der zeitgenössischen Tanz mit HipHop-Elementen verband. „Wir lernten, nicht zu denken, sondern einfach zu tanzen.“ Dann begannen die HipHoper zu spielen. Sie ließen sich Bewegungen aus dem Ballett zeigen und tanzten diese zum Beispiel als zuckenden Ablauf wie im Break Dance. Sie fanden Gefallen daran, mit Körperkontakt zu arbeiten, Tänzerinnen von hier nach dort zu heben. Mittlerweile können alle wunderbar miteinander improvisieren. Was unvereinbar schien, hat sich auf erstaunliche Weise angenähert und gegenseitig erweitert. „Zeitgenössische Tänzer sind meist auf ähnlichem Energielevel und sie haben nicht diese Vielfalt an Bewegungen.“ Sandrine Maisonneuve war von den völlig unterschiedlichen Tanzstilen ihrer neuen Kollegen beeindruckt. Und was sie vor allem gelernt habe, sei Schnelligkeit. Und wer so tanze, den könne keine Erkältung aufhalten. Sandrine Maisonneuve, der beim temperamentvollen Erzählen nichts anzumerken war, lächelt tapfer und schluckt eine Aspirin. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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