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Kultur: Was wirklich geschah

Kulturelles Gesamt-Ereignis: 3. Lange Nacht des Kabaretts

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Kulturelles Gesamt-Ereignis: 3. Lange Nacht des Kabaretts Von Gerold Paul Die „Obelisken“ vom Potsdamer Kabarett im ständigen Ab und Auf: Am Montag war es ungemütlich leer, am Dienstag brechend voll, am Mittwoch etwas leerer, der Donnerstag blieb ungefragt, am Freitag, als der bekennende Westberliner Frank Lüdecke, Autor und Mitkabarettist bei Hallervordens „Spottlight“, Bilanz zog, war es noch voller, desgleichen dann zur 3. „Langen Nacht“ am Samstag, welche man getrost als kulturelles Gesamt-Ereignis bezeichnen kann. Den 25. Gnadengeburtstag letzten Sonntag noch vor Augen, ist es in großen Stücken eine fröhliche Oldie-Partie geworden. Schon frühabends machte die 33-jährige Musikgruppe MTS ordentlich Stimmung. Bierfassen danach, also Schlangestehen hin zur hausinternen Kneipe, man konnte „sein Getränk“ aber auch vorab bestellen. Dann kam das Kölner Urgestein Heinrich Pachl, welcher die hervorstechende Eigenschaft mitbrachte, dort, wo er eine Pointe vermutete, einfach zu erstarren. Das pfiffige Publikum wusste bald, wo der geplante Beifall hingehörte. Er machte einen so eiligen Eindruck, dass man nach seinem 45-minütigen Redeschwall bei bestem Willen nicht mehr wusste, was er eigentlich sagen wollte. Nicht schlecht der Mann, nur hielt er es, wohl in Erinnerung am Herrn Schramms Verbal-Fäkalie im allerletzten „Scheibenwischer“, ähnlich derb. Die Phänomenologie Angelika Merkels immer wieder zu attackieren, zeugt nicht gerade von gutem Geschmack, und ob Heinrich Pachl nun wirklich schöner aussieht, bleibe auch dahingestellt. Sprach Sein“s mit gutem Beifall, und eilte, nach dieser flüchtigen Potsdam-Begegnung, davon und von hinnen. Die große Pause, diesmal mit geordnetem Schlangestehen, brachte notwendige Erholung. Vom heißen Süppchen bis zum erkühlten Kartoffelpuffer gab es alles, Brot und Salate, Eingerolltes und Ausgebreitetes, warm und kalt, Obst und Solei, liebevoll präsentiert als „Durch-halte-Imbiss“, etwas tiefgestapelt. Mancher aus dem Publikum langte etwas kräftig zu, viel Rest blieb auf den Tellern, unverschämt. Pausengespräche über Hottes Kupferstiche, unbekannterweise, und Tauchen im munitionsverseuchten Strauss-See belebten die Pausen-Szene innen, während nebenan, bei „Olga“, stumpfsinnige Sprech-Chöre „Elvis Pressliie, Elvis Pressliie!!“ zu hören waren. Kultur ist eben überall. Auch das ehemalige Kabarett „Ro(hr)stock“ von der Waterkant ist eines der jüngsten nicht. Helmut Fensch kennt es aus seiner studentischen Zeit noch persönlich. Wohl hätte ihr mitgebrachtes Nummernprogramm einen guten Regisseur vertragen, der Beifall hielt sich dann auch in Grenzen. Gut und nobel aber, wenn die Profis auch den ehrenamtlichen Kollegen ein Bühnen-Plätzchen gönnen. So gratulierten die Rostocker Vier als die mit 31 Dienstjahren Betagteren dem etwas jüngeren Hüpfer „Obelisk“ von Herzen zum vergangenen Geburtstag. Dann kam, auf den sie alle schon gewartet hatten, der bekennende Westberliner Frank Lüdecke. Er outete sich vorsichtshalber gleich selbst als 40-Jähriger, ein Jüngling im Herzen, ein gestandener Kabarettist mit feineren Methoden als der Kölner, viel subtiler in seinem unausweichlichen Humor. Mit viel Charme erzählte er einfach, wie es ihm erging in der einzigen West-Stadt weltweit, die eine Planwirtschaft hatte, von den wilden Siebzigern und dem folgenden Jahrzehnt, an welches nicht mal Helmut Kohl sich erinnern könne. Schöner Gesang zur Gitarre dazu. Intelligente Art Pointen zu setzen: Sprachfleißig führt Lüdecke sein Publikum bis zu einem Punkt, wo er abbricht – man denkt automatisch weiter, und hat den gewünschten Effekt also selbst produziert. So zeigte er seinen Kindern nach dem 11. September bin Laden: „Der mit dem Bart ist es gewesen! Oh, drei Monate später war Weihnachten“ Klasse. Sein Lohn war Beifall brausend. Die Potsdamer Kabarettisten waren mit dieser Langen Nacht genauso zufrieden wie die vielen Gäste, obwohl man genau eine Stunde überzogen hatte. So ging es fröhlich zum Finale: Die noch immer nicht satt waren, delektierten sich beim schönen Russenfilm „Rette sich wer kann“ von 1961 weiter,, andere begaben sich zur Raggae-Nacht in die Hauskneipe, dritte aber eilten nach Hause, zu schlafen oder zu berichten, was bei dieser obelisken Oldie-Parade wirklich geschah.

Gerold Paul

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