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Ein Punk ist ein Punk ist ein Punk. Zumindest heute. 1985 in Potsdam war das für Karl Raetsch keine Kleinigkeit, „Tom“ derart großformatig zu porträtieren.

© Andreas Klaer

Kultur: Was wirkt, ist wirklich

Die Galerie am Jägertor zeit eine beeindruckende Retrospektive des Realisten Karl Raetsch

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Wenn die Ersten die Letzten und die Letzten tatsächlich die Ersten wären, gehörte der Potsdamer Maler Karl Raetsch (1930 - 2004) heute klar in Reihe eins. Denn wie aus dem Nichts wurde in einschlägigen Kreisen urplötzlich die abstrakte Kunst für aufgebraucht und überholt erklärt, vielleicht lässt sich mit ihr nicht mehr genügend verdienen. Stattdessen ruft man die Rückkehr des Realismus in der Malerei aus, ein Schicksalsschlag für alle Avantgardisten. Der russische Filmregisseur Andrej Tarkowski schien das früh gewusst zu haben, von Anfang an hat er nur realistische Filme gedreht. Begründung: Es gebe in der Kunst keinen Fortschritt, bestenfalls Strömungen, Handschriften und Schicksale. Das bringt alle gelehrten Schulen womöglich um Kopf und Kragen, weil die lediglich in „ismen“ denken. Übersetzt heißt das „die Theorie von...“, Annahmen also, alle aschgrau, auch dieser Realismus. Bei Wikipedia gibt es für ihn gleich vier Definitionen, je eine für Literatur, Philosophie, Kunst und internationale Beziehungen - ganz schön wissenschaftlich. Einen Herzblut-Maler sollten solch akademischen Verrenkungen nicht anfechten. Verloren ist nur, wer seine tiefste Intention vergisst und sich den Monstren beugt. Realistisch ist letztlich alles, doch objektiv ist nichts, die bildende Kunst, der Film, die Musik, beweisen es ja. Was aber wäre ganz ohne Wahrheit?

Solche Gedanken fördert die aktuelle Ausstellung in der wiedererstandenen „Galerie am Jägertor“, jetzt Lindenstraße 64, zutage: eine liebevoll gestaltete Retrospektive des unvergessenen Malers und Realisten Karl Raetsch. Gibt es für Fans und Sammler eine bessere Gelegenheit, sich an den Künstler zu erinnern, der in seinen Malereien oft so schwer und düster wirkt, und so leicht in seinen Schnitten und Aquarellen? Natürlich finden auch Kunsthistoriker und andere Bildeinordner gerade bei ihm, was sich man unter Zeitkolorit und Realismus versteht. Insgesamt 28 seiner Werke sind in der aparten Galerie ausgestellt, die Ölbilder stammen aus den Sechziger- bis Neunzigerjahren, die herrlich luftigen Aquarelle aus seinen letzten Schaffensjahren. Das Interesse am Werk des gebürtigen Berliners ist offenbar ungebrochen, seine Bilder werden gekauft.

„Tom“, den selbstbewussten Punk aus Potsdam, 1985 in einem nicht gerade kleinen Format zu porträtieren, war damals keine Kleinigkeit. Heute sind das nur noch Porträts aus der Hand von Karl Raetsch – aber keine so schlechten. Kinder hat er gemalt, Frauen von vorn und von hinten, Gärtner gebückt bei der Arbeit. Einige dieser Ölbilder wirken in ihren Möglichkeiten wie gebremst, als ob der Geist des seinerzeit geforderten ideologischen Realismus das Temperament der Bildkultur gewaltsam zügeln wollte, wie in dem bildstummen Mädchenporträt aus den Sechzigern. Da ist keine Ausgelassenheit, keine Abweichung, kein Lachen der Jugend, malerisch findet sich kein spielerisch-fremdes Detail. Alles wirkt herb, ernst, vielleicht sogar „klassisch“, da tobt ja auch das Leben nie. Gut, dass man dieses Bild ausgewählt hat: Es konnte ihm auch schon mal passieren, dass er eine Hand, beispielsweise, einfach nicht zu Ende gemalt hat. Sein Bildaufbau ist schlicht und überzeugend, sonderbar freilich, wie oft er seinen Hintergrund uni-farben gestaltet. Das kann hellpink oder dunkelgrün sein, sich im verwaschenen Ocker zeigen, tiefbraun oder auch mal im augenreizenden Hellgrün. Auf diese Weise werden seineModelle aus ihrem Milieu herausgelöst, und kommen somit in jeder Gegenwart an. Das Mädchen von 1965 zeigt genau das Gegenteil, es wird wohl immer nur ein Porträt seiner eigenen Zeit bleiben müssen.

Über Karl Raetschs geradezu begnadeten Aquarelle muss man nicht viel sagen, manche wirken federleicht, die späteren versuchen, neben dem Kolorit auch etwas mehr das Temperament eines Milieus und einen Hauch von Farbe einzufangen, etliche Potsdam-Motive sind hier dabei. Ein Experimentierer war er wohl trotzdem nicht. Es lag ja auch nicht an ihm allein, wie viel Vergänglichkeit in sein Werk gerät, über den ersten oder letzten Status entscheidet die Gegenwart ohnehin nicht, man sieht ja, wie eifrig das wechselt. Diese inzwischen sechste Verkaufsausstellung in der Galerie mit neuer Adresse ist eine liebevolle Verbeugung für einen, der zwar gestorben, nicht aber vergangen ist. Karl Raetsch, ein Realist? Jeder malt die Dinge so, wie er sie weiß oder sieht, der Rest ist dann nur eine Frage des Stils. Und der Wirkung: Für Platon ist wirklich, was Wirkung ausübt: „Alles, was ist, ist Wirkung.“ Auch das ist ein Weg zu Karl Raetsch.

Karl Raetsch, Bilder und Aquarelle, noch bis zum bis zum 4. Januar in der Galerie am Jägertor, Lindenstraße 64, geöffnet mittwochs bis samstags, 14-18 Uhr

Gerold Paul

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