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Kultur: Was Zimmermann so zimmern kann

Bilder des fabulierwütigen Dieter Zimmermann in der Sperlgalerie

Stand:

Bilder des fabulierwütigen Dieter Zimmermann in der Sperlgalerie Von Götz J. Pfeiffer Zum Grübeln? Man braucht weder Walther von der Vogelweides recht unbequeme Position mit übereinander gelegten Beinen, aufgestütztem Ellenbogen und in die Hand geschmiegter Wange und verzichte auch getrost auf Auguste Rodins gleichermaßen angestrengte Denkerpose. Man nehme schlicht: den eigenen Kopf und einen Finger zu Hilfe, um darauf in Gedanken und zuweilen in der Nase zu bohren. Was schließlich dabei herauskommt, wenn man zugleich noch seit zwei guten Jahrzehnten im Spreewald wohnt und ganz passabel malen kann, zeigt die Sperlgalerie mit den so fabulierlustigen wie farbgewittrigen Bilderwelten des gut sechzigjährigen Dieter Zimmermann. Nicht zum ersten Mal zeigt der Maler, der von 1968 bis 1973 in Halle bei Willi Sitte und Hannes H. Wagner studierte, seine eigenständig-urwüchsigen Arbeiten in Potsdam. Aber wie darf man sie überhaupt nennen? Als Bilderbögen betitelte der Maler sie in den frühen 90er Jahren. Sind es Comic-Strips? Gemalte Moritaten? Bei aller Ordnung, die Zimmermann ihnen durch mehrfach herum gezogene Rahmen und vielfache quadratische Einteilungen der mittelformatigen Flächen zu geben sucht, letztlich sprengt er die Grenzen immer wieder. Wenn nicht zu den Seiten, in die Bildtiefe und dem Betrachter entgegen streben seine starkfarbigen Welten, ergreifen den Blick - und lassen ihn nicht mehr los. Hypnotisiert erklimmen die Augen „Die Himmelsleiter“, irren ab zu bunt gescheckten Felderchen auf die Seiten, suchen – und finden? Ihnen bieten sich Köstlichkeiten manchen Geschmacks, wie dem Pilzsammler auf dem Bild mit dem programmatischen Titel „Heute frische Fliegenpilze“. Aber es sind allerweil natürliche Drogen, mit denen Zimmermann schon von ferne lockt und den schnell schmunzelnden Betrachter im Bann breit hingestrichener Farben hält. Der Maler selbst ist das „Schwein schwarzes, nach Augenfutter suchend“. Sein Futterplatz? Das Leben und der Alltag. Die optische Beute legt er als piktografische Strecke auf dem „Zeichenbaum“ zu nachdenklicher Synopse auseinander. Oder er lässt eine große kubistische Ziege vor kleinen maritimen Pretiosen dem Kapitän als „Das Nebelhorn“ tuten, den Matrosen mit dem Euter aber als der Sonne zum Liebchen in den nächsten Hafen heimleuchten. Und selbst wenn „Der Vogeldieb“ zu übermütig und ohne Beute aus dem hohem Baum fällt, durchdringt Zimmermann das seit Brueghel bekannte Motiv nicht nur mit eigenem Pinselduktus, sondern auch mit frischem Leben. Dabei zwingt der Maler dem Betrachter in keinem Bild eine Lehre mit den flott erzählten Geschichtchen auf, noch nicht einmal altersweise Gedanken oder lebenserfahrene Zynismen springen von den Leinwänden. Gerade weil die Bilder in abstrakt-zeichenhafter Gestalt nicht so aussehen wie das Leben, schildern sie es um so lebensvoller. Seit den späten 80er Jahren baut Zimmermann seine künstlerischen „Experimenttiertische“ auf, so ist ein nicht gezeigtes Bild von 1989 betitelt. Doch zu sehen ist „Überwachsener Tisch“, auf dem die skurrilen Bildchiffren scheinbar unentwirrbar miteinander verwoben sind. Abhilfe? „Dunkler Tisch“, aber selbst durch dessen grau-schwarze, fest gespachtelte Decke arbeiten sich farbige Schemen hervor. Also ein Griff zur anderen Unfarbe, um mit blendendem Weiß auf „Heller Tisch“ endlich die Platte zu putzen. Doch Zimmermann ein Saubermann? Mitnichten. Er ordnet, um zu verunklären, und lässt in verwirrender Fülle die klare Einzelform erkennen. Am Ende der Ausstellung, die auch als langes Präludium zu diesem Bild aufgefasst werden kann, wird zum „Augentest“ geladen. Undeutlich verschwimmen die in zahllosen Kästchen gezwängten Bildchiffren Zimmermanns vor den Augen, um über dem vogelschnäbeligen Doktor mit Brille schemenhaften eine Denkblase erkennen zu lassen, gebildet und angefüllt mit weiteren kleinen Bildchiffren. So ist das eben, wenn ein Maler ins Nachdenken und manisch anmutendes Arbeiten gerät. Mehr als scherzhaft urteilt der Ausstellungstitel über ihn und seine Arbeiten: „Der Grübelzwang“. Wer was auf die Augen und Anleitung obendrein braucht, dem kann nicht nur mit dem diesmal besonders schönen Künstlerheft geholfen werden. Bis 28. November in der Sperlgalerie, Mittelstr. 30. Di-So 12-18 Uhr.

Götz J. Pfeiffer

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