zum Hauptinhalt

Kultur: „Wasser ist ein Element der Poesie“

John von Düffel über „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ / Premiere am heutigen Freitag

Stand:

Herr von Düffel, welche  Bedeutung hat das Wasser für Sie?

Da muss ich zurückfragen, wie viele Fragen Sie noch stellen wollen, denn allein die Antwort hierauf würde den Rahmen jedes Interviews sprengen.

Dann lassen Sie uns die Frage mit Blick auf die Uraufführung von „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ am heutigen Freitag im Hans Otto Theater konkretisieren.

In diesem Zusammenhang ist Wasser für mich ein Element der Veränderung und Verwandlung. Aber auch ein Element der Poesie. Das lässt sich gerade in Potsdam sehr gut nachvollziehen, denn wenn man hier am Wasser entlangspaziert, berührt einen das. Erinnerungen, beispielsweise an die Kindheit, an ein Getragensein, an Geborgenheit, können einen dabei vielleicht überkommen. Wasser, das hat auch etwas von Seele baumeln lassen. Ein Versprechen von Natur, Weite und Freiheit. Mit Blick auf „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ hat es aber auch ein spirituelles Element.

Das Theaterstück „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ basiert auf Ihrem jüngsten Buch „Wassererzählungen“. Wie haben Sie diesen Erzählband bühnentauglich gemacht?

In den „Wassererzählungen“ gibt es drei Geschichten, die den Charakter eines Monologs, eines Dialogs und einer Rollenrede haben. Hier musste ich im Gegensatz zu manch anderer Bearbeitung für die Bühne nur ein paar wenige Streichungen und Zuspitzungen vornehmen.

Eine dieser Erzählungen gibt dem Theaterstück auch den Titel.

Ja, „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ ist die Geschichte von einer Kreuzfahrt, auf der ein Vater hofft, seiner entfremdeten Tochter wieder näherzukommen. Vierzehn Tage gemeinsam auf einem Schiff Richtung Polarmeer. Und immer wieder ruft er seine Frau an, um von der Fahrt, dem Leben auf dem Schiff und von den schwierigen Versuchen der Annäherung an seine Tochter zu berichten. Das sind drei Telefonate, die den Abend rahmen. Und zwischen diesen drei Monologen des telefonierenden Vaters erleben wir einen Dialog mit dem Titel „Die Vorschwimmerin“ und eine Rollenrede nach dem Text „Der Fetzenfisch“.

In „Die Vorschwimmerin“ wird eine doch sehr seltsame Situation geschildert.

Hier geht es um die Frage, wie spirituell Wasser sein kann. Ein japanischer Stararchitekt hat sich einen Panoramabungalow mit einem Gebirgswasserpool an den Hang bauen lassen. Und in diesem Pool lässt er eine Frau regelmäßig zwei Stunden vorschwimmen. Diese Frau will aber nicht mehr und versucht nun eine potenzielle Nachfolgerin zu überzeugen.

Klingt doch verlockend. Zwei Stunden Schwimmtraining und dafür auch noch bezahlt zu werden.

Das ist aber mit einigen Zumutungen verbunden. Denn die Frau muss nackt schwimmen und zwei Stunden lang im selben Stil. Und da die Panoramascheiben des Bungalows getönt sind, weiß sie nie, wer ihr da eigentlich zuschaut. Das Kunststück besteht nun darin, der potenziellen Nachfolgerin dieses Vorschwimmen trotz dieser Zumutungen schmackhaft zu machen. In „Der Fetzenfisch“ erleben wir eine Karrierefrau, die einen jungen Liebhaber hat, mit dem sie sich in einem Aquarium trifft und darüber unterhält, wie es jetzt weitergehen soll. Sie erlebt gerade, wie ihre Familie auseinanderbricht, wie sie ihre Kinder nicht mehr erreicht. Jetzt muss sie sich entscheiden zwischen ihrer Familie oder einem neuen Leben mit ihrem Liebhaber. Eine moderne Frau, die aber wie eine Fetzenfrau zerrissen ist zwischen all den Möglichkeiten und den Erwartungen, die sie an sich selbst hat.

Den titelgebenden Fetzenfisch gibt es ja tatsächlich.

Ja, und diesen Fisch habe ich in den Aquarien des Berliner Zoos sehr oft besichtigt. Das ist ein Fisch, der sich perfekt an seine Umwelt angepasst und sozusagen algenförmig geworden ist. Der zwar einen Seepferdchenkopf hat, sonst aber aus fächer- und blattartigen Auswüchsen besteht und den man für eine Pflanze halten kann. Auf der einen Seite staunt man über diese enorme Anpassungsfähigkeit, die ein solches zerrissenes Lebewesen schafft, das von seiner Umwelt kaum noch zu unterscheiden ist. Auf der anderen entwickeln sich aber auch ganz bizarre Schöpferfantasien, wenn man dieses Tier im Wasser beobachtet, das nur von einem Künstler geschaffen worden sein kann.

Welche verbindende Rolle spielt das Wasser in dieser Inszenierung

Für den Vater auf der Kreuzfahrt ist das Wasser ein Versprechen einer Gegenwelt zu der Konsum-, Glitzer- und Entertainmentwelt, in der wir sonst leben und der er natürlich auch auf dem Schiff begegnet. Er erhofft sich von dieser Wasserwelt eine Berührung für sich und seine Tochter, die etwas Wahrhaftiges mit sich bringt. Also ein Ort, an dem man das Gefühl hat, sich wirklich zu begegnen. In „Die Vorschwimmerin“ ist es das spirituelle Element des Wassers aus dem Gebirgsbach. Wobei wir hier nie wissen, ob Nacktheit im Wasser eine Art Unschuld oder Prostitution ist. Ist das Schwimmen heilig oder doch verhurt? Jeder, der regelmäßig in eine Schwimmhalle geht, weiß ja, dass das immer auch eine Art Körperschau, Fleischbeschau sein kann. Aber dann, eingetaucht in das Wasser, kann das Schwimmen etwas Meditatives, Spirituelles und vielleicht sogar Religiöses sein. In „Der Fetzenfisch“ ist es die Welt des Aquariums. Eine Welt des Abgeschlossenseins, in der man andere nicht mehr erreicht, das Gefühl hat, nur noch Luftblasen abzusondern und so einer scheinbar unendlichen Wassereinsamkeit ausgesetzt ist. All die Texte kreisen immer wieder um die Fragen, was man glauben soll und wie man richtig lebt. Also moralische Fragen.

Wasser hat für Sie eine große Bedeutung, denn Sie sind leidenschaftlicher Schwimmer. Was reizt Sie immer wieder am Wasser?

Seit ich denken kann, bin ich am und im Wasser gewesen. Als Kind habe ich die schönsten und erinnerungsreichsten Stunden meines Lebens am Wasser verbracht. Was ich sehr ausführlich in meinem ersten Roman „Vom Wasser“ beschrieben habe. Die Motive, warum man ins Wasser geht, sich im Wasser bewegt, sind natürlich vielfältig. Es ist eine Herausforderung zwischen Überstehen, Überwinden und Bestehen. Wasser, das ist für mich eine Art flüssiges Zuhause, eine der wenigen echten Konstanten in meinem Leben.

Welche Gefühle erleben Sie in diesem flüssigen Zuhause?

Das erste Gefühl, das ich habe, wenn ich irgendwo draußen schwimmen kann, ist ein Gefühl von Freiheit. Es ist wie eine Befreiung, weil alles von mir abfällt. Im Wasser gewinne ich einen Abstand zu vielen Dingen des Alltags, aber auch zu den Themen, die mich gerade beschäftigen. Ich tauche ins Wasser ein und gewinne so auch Abstand von mir selbst, weil ich die alten, eingetretenen Pfade verlasse.

Herr von Düffel, welches Buch, welcher Film über das Wasser hat Sie am meisten geprägt?

Das klingt jetzt nicht gerade originell, aber schon als Kind hat mich sehr stark Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ geprägt. Nun möchte ich nicht behaupten, dass ich mich in diesem Alter schon als alter Mann gefühlt habe, aber diese Einsamkeit und gleichzeitig damit verbunden diese Leidens- und Hoffungsgeschichte auf dem Wasser, das hat mich schon sehr früh berührt. „Im Rausch der Tiefe“ ist ein Film, der mir schon fast erschreckend körperlich unter die Haut gefahren ist. Ein Film, der von Freitauchern erzählt, die ohne Atemgeräte immer und immer tiefer tauchen. Diese Faszination, von der man einfach nicht lassen kann. Eine Faszination, die sich auch darin zeigt, wenn man in immer kälteres Wasser geht. An diesen Film denke ich immer wieder, wenn ich im Wasser mal wieder selbst an eine Grenze gehe. Denn irgendwann lockt das Wasser einen immer wieder, über Grenzen hinauszugehen. Und diesem Lockruf kann ich nur sehr schwer widerstehen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Premiere von „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ am heutigen Freitag um 19.30 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse ist ausverkauft.

John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, ist Dramatiker und Schriftsteller. Derzeit arbeitet er als Dramaturg des Deutschen Theaters in Berlin. Er lebt mit seiner Familie in Potsdam.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })