Kultur: We say Halleluja!
Gospelgesang verwandelte Friedenskirche zeitweise in ein Tollhaus
Stand:
US-amerikanische Spiritual- und Gospel-Kultur unterscheidet sich bekanntlich durch ihr Temperament, Rhythmus- und Harmonie-Empfinden ganz erheblich von der europäischen Art, den Gott des Alten oder Neuen Testaments zu loben. Was hierzulande oft schal und blutlos wirkt, geriert unter den Klängen des E-Piano, Schlagzeug und voluminöser schwarzer Stimmen oft zu einem Fest der Sinne. So sollte es auch sein, denn wie die Gospel-Klänge das Evangelium preisen, so will ja dieses „Freude“ unter den Gläubigen verbreiten. Aber wo sind die Grenzen, wenn aus dem tradierten Liedgut ohrgefällige Arrangements werden, aus Wohlklang oftmals Getöse, aus Gottesdienst eine „Show“ und aus dem Publikum ein Haufen kreischender, pfeifender und juchzender Leute, die alles nachahmen, was ihnen der Impresario vorn am Altar gebietet? Manchmal ist es gut zu wissen, dass in Europa der Zweifel beheimatet ist.
Beim Konzert der „Very Best Of Black Gospel“ in der vollbesetzten Friedenskirche, darin man selten solch ein Lärmen hört, hat es sich am Samstagabend genauso zugetragen. „Erstmals ist es gelungen, eine Auswahl der besten Gospelsänger und Sängerinnen in einer Gruppe zu vereinen“, steht im Hochglanz-Programm ganz superlativ – die Elite der Besten jenseits vom Teich, was vom musikalischen Leiter, Sänger und Keyboarder, Gregory M. Kelly, über so starke Stimmen wie die von „Sista B“ bis hin zu Yashika Horn und Niehlah Black, durchaus stimmen könnte. Pastor Solomon Bozeman führte mit seiner dominanten Erscheinung durch den Abend, an dessen Beginn eine Anrufung stand. Keine Ahnung, welche Art Theologie man vertrat, jedenfalls trugen die Herren blaugefärbte lange Gewänder mit goldener Krone auf der Brust, einige mit gelbem Kreuz daneben, die sangeskräftigen Damen erschienen in graphitenem Outfit. Power gleich zu Beginn im abgedunkelten Kirchenraum. Aufstehen, mitsingen, setzen, die Arme bewegen – das begeisterte Publikum machte alles mit. Hochspannung, spürbar. Auf der Bühne ein beständiges Lächeln, Blicke nach oben, sehnsüchtig dorthin räkelnde Arme, eine Mahilia-Jackson-Hommage, von der Kanzel herab, die schwarze Hand schloss sich brüderlich in eine weiße: Peace und Love lösen alle Probleme der Welt. Eine Sängerin sprach es aus: „Bist du gut, dann bist du glücklich, wie ich!“ Und strahlte sehr im Spot-Licht.
Kaum einer der vielen Traditionals im Zweistunden-Programm kam original, wie es wohl besonders die Älteren erwartet hatten. „We Shall Overcome“ als Verbeugung vor Martin Luther King neu arrangiert, „When The Saints Go Marchin“ in“, „Down By The Riverside“ mit allerlei Koloraturen fast barock intoniert, man glaubte sogar den Rock “n“ Roller „Tutti Frutti“ herauszuhören, sicher jedoch John Lennons „He Jude“. Gospels?
Höhepunkt war ein ins extreme Forte bugsierter Rhythmus, zu dem man vor dem Altar so ekstatisch tanzte, bis zwei Sängerinnen im Trance zusammenbrachen und vorübergehend seitwärts verschwanden. Dieses Exerzitium rutschte nur ganz knapp an einer Massen-Psychose vorbei. Endlich wurde gebremst, man sang mit kitschigem Sentiment „Kubaya, My Lord“ und – natürlich gemeinsam – einige „Hallelujas“, wobei man nun im Gestühl von selber aufstand, wenn die Musik begann, A Capella oder instrumentiert.
Was soll man sagen: Zeitweise glich dieser Auftritt in allen Erscheinungen einem Rock-Konzert, die Kirche indes einem Tollhaus. Macht mit, werdet glücklich – wie wir. Halleluja. Gerold Paul
Gerold Paul
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