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Kultur: Wechselbäder

Kammerakademie begeisterte unter Andrea Marcon

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Unter der Führung von Andrea Marcon klingt die Kammerakademie Potsdam lockerer und farbiger als je zuvor. Das zeigte sich im letzten Symphoniekonzert der Saison mit Werken von Gioacchino Rossini und Ludwig van Beethoven. Zum Finale herrschte unter den Zuhörern im Nikolaisaal große Begeisterung. Misslich war nur, dass der groß annoncierte Countertenor Max Emanuel Cencic ausfiel. Doch mit Marina Prudenkskaja fand man eine Sängerin, die mehr als Ersatz war. Sie sang sogar zwei der drei angekündigten Arien aus Rossinis Opern „Tancredi“ und „Semiramide“. Mit einem grün-blau-changierenden Nixengewand schon äußerlich eine Augenweide, überzeugte sie bald mit den Gesangskünsten einer Sirene. Die russische Mezzosopranistin verfügt über ein außergewöhnliches Register, selbst in den untersten Lagen glänzt sie mit satt-bronzenem Timbre. Souverän meistert sie beide Bravourarien, „O Patria“ und „Eccomi al fine in Babilonia“, einschließlich aller technischer Tücken. Sie scheut keines der zahlreichen Glissandis, Crescendi und Tremoli, sondern zeigt mit betörenden Tönen, wozu ihr Talent sie befähigt. Mit ausdrucksstarkem Gesang erfreuten auch zwei Arien aus Mozarts früher Oper „Lucio Silla“, in der Marina Prudenskaja zur Zeit im Staatstheater Stuttgart die Rolle des Cecilio singt.

Zwei Ouvertüren aus Opern von Rossini legten einen schwingenden Boden aus. Wenn bei „Il Signor Bruschino“ die Geigenbögen auf den Notenpulten trommeln und die Streicher sogar mal kräftig mit den Füßen stampfen dürfen, gelangt man gleich ins heitere Zentrum der Musik. Auch in der Ouvertüre zur „La scala di seta“ dürfen die Geiger alle Möglichkeiten zur Erzeugung von Tönen ausreizen. Dazu liefern sich Oboe, Flöte und Piccolo fetzige Jagden. Dass letztlich alle Ouvertüren von Rossini irgendwie gleich klingen, tut dem Spaß keinen Abbruch.

Mit Beethovens siebter Symphonie setzt die Kammerakademie ihr musikalisches Experiment fort, Beethoven einmal anders zu präsentieren. Andrea Marcon produziert mit den eifrigen Musikern heftigen Aufruhr und wilden Tumult. Viel zu tun hat der Mann an der Pauke, Friedemann Werzlau, der den vielfältigen rhythmischen Raffinessen der Partitur präzise Gestalt gibt. Wie ein schauerliches Faszinosum, wie ein gespenstisches Capriccio mit Anklängen an Schubertsche Klangwelten erklingt das allegretto des zweiten Satzes. Wie in permanente Wechselbäder getaucht wirkt der dritte Satz, in dem die oft abrupten Umschwünge von Dynamik, Tonlänge und Rhythmus aufreizend ausgekostet werden. Wenn die Hörner und Naturtrompeten knattern, Flöten und Geigen säuseln und plötzlich die Pauke dazwischen hämmert, begreift man durchaus, warum den Zeitgenossen Beethovens Siebte wie die „Ausgeburt eines Tollhäuslers“ erschienen ist. Dieser Eindruck wird vom rasanten, dramatisch zugespitzten Finalsatz unterstrichen, dessen ausgeklügelte Rhythmik an die Grenzen des Machbaren stößt und in einem großen Klangrausch endet. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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