Kultur: Weich wie Samt
Gala der Countertenöre im Nikolaisaal
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Wie einst die Kastraten, so verfügen auch heutige Countertenöre dank ausgefeilter Technik über eine enorme stimmliche Flexibilität und Ausdrucksvielfalt. Was ihnen ermöglicht, das einstige Repertoire aus der Kastratenära mit engelsgleichem Wohllaut zu singen. Vier der weltbesten Countertenöre kündeten am Samstag im ausverkauften Nikolaisaal von ihrem einmaligen Können. Wer tritt zuerst auf, wer bestreitet den finalen Höhepunkt? Tobte deswegen ein „Zickenkrieg“? Nichts dergleichen, denn man einigte sich im besten Einvernehmen auf einen ritualisierten, für Gleichbehandlung sorgenden Ablauf. Jeder sang en bloc drei metaphernreiche Arien zwischen Entsagung, Rache, Klage und Liebesschmerz, wobei stets die dritte von kehlkopfakrobatischem Furor geprägt war. Sozusagen der effektvolle „Abstauber“, bei dem jeder vorführen konnte, was er so alles an Trillern, Koloraturen, rasanten Läufen und sonstigem vokalen Zierrat im stimmlichen Angebot hat.
Auf ihre Auftritte stimmten Instrumentalstücke aus Händels Oper „Faramondo“ ein. Wofür, neben der bravourösen Arienbegleitung, das Originalklangensemble „I Barocchisti“ unter der cembalistischen Anleitung von Diego Fasolis zuständig war. Ein Glücksfall, wie sich sogleich herausstellte. Den acht Violinen standen Viola, Oboe, Laute, Violoncello und Kontrabass zur Seite. Ähnlich einem gestenausladenden Schlangenbeschwörer erweckte Fasolis mit den expressiv aufspielenden Musikern die barocken Noten zu hinreißender Lebendigkeit, atmender Stimmungsdichte, prickelnder Frische. Ihr straffer, jedoch auch warm getönter Klang mit einem Hauch von Vibrato setzte auf natürliche Rhetorik.
Was so recht im Sinne der Sänger zu schein schien, die sich auf diesem filigranen Klangteppich außerordentlich geborgen fühlten. Den Reigen der Engelsstimmen eröffnete der Ukrainer Yuri Minenko mit einer gefühlvoll vorgetragenen Klagearie aus Vivaldis „Bajazet“. Mit leichtem Ansatz, Markenzeichen auch der anderen, führte er seine ebenmäßig geführte Stimme kraftvoll und höhensicher vor. Zornentfesselten Furor hielt er für Xerxes’ Arie aus Händels „Serse“-Oper parat. Minenko erwies sich als die Überraschung des Abends, von dem noch Großes zu erwarten steht.
Süffigem Rotwein glich das dunkel getönte Altus-Timbre von Matthias Rexroth, der in Arien von Bertoni, Händel und Vivaldi genauso mit frappierender Tiefe wie mit wunderschöner Pianissimokultur aufwartete, bei dem die Töne fast aus dem Nichts heraus erklangen. Himmlisch. Leider war sein Lagenwechsel nicht immer optimal. Ohne Registerbrüche, total ausgeglichen, weich wie Samt und mit lyrischer Legatolinie bezauberte der Katalane Xavier Sabata. Unentwegt verströmte sich andächtiger Wohllaut: schmerzvoll und intensiv, innig, leidenschaftlich, von perlenschimmernden Koloraturenketten umrankt.
Auch der Österreicher Max Emanuel Cencic, einstiger Wiener Sängerknabe, verfügte wie die anderen über keine „weiße“, instrumental geführte Stimme. Stattdessen sprudelte sie wie prickelnder Federweißer: leicht, lyrisch strömend, betörend im Abgang. Ein echter Countertenor. Wie er die Seelenqualen des Vivaldischen Titelhelden Farnace in totaler Verinnerlichung durchlitt, war genauso atemberaubend wie die Kehlkopfvirtuosität als Händels Teseo. Da kannte der Jubel keine Grenzen. Und steigerte sich, als die Vier gemeinsam den Schlussgesang aus Vivaldis „La Fida Ninfa“ anstimmten. Ein Abend der Superlative!Peter Buske
Peter Buske
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