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Kultur: Weichgetönte Melodik

Stimmenfest mit dem „ensemble amarcord“ bei den Bachtagen in der Nikolaikirche

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Stimmenfest mit dem „ensemble amarcord“ bei den Bachtagen in der Nikolaikirche Wie die fünf jungen Männer sich da im großen weiten Halbrund des Altarraums aufgestellt haben, wirken sie fast verloren. Doch ihre macht- und prachtvollen Stimmen machen diesen Eindruck schnell vergessen. Ihre Musikliebe und ihr stimmtechnisches Können, ihre außerordentliche Musikalität und präzise Stimmführung haben sie als Mitglieder des Leipziger Thomanerchores über die Jahre entwickelt, schließlich zur Vollendung kultiviert. Nun steht das Vokalquintett „ensemble amarcord“, Gewinner des Deutschen Musikwettbewerbs 2002, unangefochten an der Spitze des spezialisierten, gleichsam miniaturisierten A-cappella-Ensemblegesanges. Bei nur fünf Mitsängern – angeführt von Wolfram Lattke, einem lyrischen Tenor der Extraklasse, verstärkt von Höhenkollege Dietrich Barth, vervollständigt von Frank Ozimek (Bariton) und Daniel Knauft (Bass) sowie abgerundet durch den tiefenprofunden Bass von Holger Krause – kann sich keiner hinter dem anderen verstecken. Selbst die kleinste Unpässlichkeit der Atemwege oder der minimalste Patzer bei den Stimmbandkontraktionen ist in dieser Minibesetzung sofort zu hören. Also muss jeder Einzelne die Perfektion in persona sein. Doch bei aller Präsentation von präzise beherrschter Technik, die bei ihnen die Nähe zur Akrobatik nicht verleugnen kann und will, vernachlässigen sie nie das sinnerfüllte Singen und tiefverinnerlichte Gestalten. Die erste Offenbarung ihres Könnens stellt sich den erfreulich zahlreich erschienenen Besuchern des im Rahmen der Bachtage veranstalteten Konzerts in der Nikolaikirche ein, als das Vokalquintett aus der Bachstadt die von ihm in Auftrag gegebene Komposition „Bach Personae – five voices in today''s world“ (2000) von Bernd Franke (geb. 1959) zur Aufführung bringt. Dabei singt jeder seinen eigenen, einst von ihm selbst ausgewählten Textpart. Er ist gewonnen aus Schriften, die Bach einst vertonte und die Bernd Franke nach über 250 Jahren mit neuen Noten versah. Die Identifikation der Solistenvereinigung mit dem Vorgetragenen ist enorm. Weites Schwingen Das Singen in aufgelockerter, halbrunder Aufstellung im Altarraum lässt gleichsam den Anschein von gregorianischer Eindringlichkeit entstehen. Woran auch die sonst so oft gescholtene extrem nachhallige Akustik der Nikolaikirche ihren positiven Anteil hat, denn die Stimmen schwingen weit und verschmelzen exzellent miteinander. Das Ohr wähnt sich in einer monumentalen Klosterkirche. Nach und nach treten die Vokalisten aufeinander zu, bis man eng beieinander steht. So entsteht einem der Eindruck, als zöge sich der Klang quasi zusammen. Weichgetönte Melodik bestimmt sämtliche Werke des Programms, dem dadurch der Eindruck eines einheitlichen Ausdrucks von Gefühlsinnigkeit entsteht. Dass es den Zuhörern dabei nicht langweilig wird, dafür bürgt die extreme Klarheit der Stimmen, ihr harmonisches Zusammenklingen und die fast beängstigende Sauberkeit der Intonation. Nirgends der leiseste Hauch irgendeiner Schwankung – fantastisch. Von fast original gesetzten Bach-Weisen (u.a. „O Haupt voll Blut und Wunden“) bis zu Pendereckis Organum und Psalm 117 „Benedicamus Domino“ und anderen zeitgenössischen Neutönern reicht das Angebot. Selbst solche Novitäten wie „The Lamb“ von John Tavener (geb. 1944), das Gloria von Sidney Marquez Boquiren (geb. 1968) oder die Vertonung dreier Gedichte von Paul Celan durch Marcus Ludwig (geb. 1960) erweisen sich als sehr sangbare Vertonungen. Sehr originell gibt sich dagegen das „Pater noster“ (Vater unser) von Albert de Klerk (1917-1998), in dem die Stimmen wie verschieden gestimmte Glocken klingen, wenn sie den Vokal „a“ sehr lange aushalten. Nicht weniger kultiviert tragen sie vor, was einst die Swingle Singers als ihre Hommage an Bach verstanden: den Vokalisengesang von Instrumentalstücken. Beim Wiederhören des bekannten Air (aus der Orchestersuite BWV 1068) und der Fuge c-Moll BWV 847 erscheint einem das Adaptionsgebahren von Ward Swingle inzwischen doch etwas manieriert. In andachtsvoller Stille lauscht das Publikum auch dem Vortrag dieser Piecen. Nicht das leiseste Räuspern oder Ähnliches stört die Versenkung in die Stimmung der geistlichen wie weltlichen Gesänge, wozu auch artifiziell vertonte Ausschnitte aus Bernd Frankes Zyklus „Unseen blue“ (2002) über Liebesempfinden und Todesgedanken gehören. Den ausstrahlungsstarken Sängern fliegt herzlichster Beifall entgegen. Peter Buske

Peter Buske

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