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Kultur: „Weihnachten ist immer ein Risiko dabei“
Harald Martenstein über Weihnachtsmörder, Santaclausophobie und strippende Weihnachtsmänner – am Sonntag liest er in der Schinkelhalle
Stand:
Herr Martenstein, haben Sie an Weihnachten schon mal an Mord gedacht?
Ja, das ist schon passiert. Über Details möchte ich jetzt nicht sprechen. In diesem Zusammenhang kann ich aber Alfred Hitchcock zitieren, der gesagt hat, auf Weihnachtsfesten habe er immer die besten Ideen.
Ihre eigenen Mordideen lassen Sie in Ihrem Buch „Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten“, aus dem Sie am Sonntag in Potsdam lesen, nun vom Weihnachtsmörder in die Tat umsetzen, mal als Lamettawürger, mal als Christbaumstecher.
Der Weihnachtsmörder sucht sich immer am Heiligen Abend seine Opfer und tut schreckliche Dinge. Er erstickt Menschen in einer Weihnachtsgans oder er verarbeitet sie zu Soljanka, die dann in Schwerin auf dem Weihnachtsmarkt ausgeschenkt wird. Ein wirklich beispielloses Verbrechen.
Warum tut er das ausgerechnet am Heiligen Abend?
Gott, der Jesus auf die Welt geschickt hat am Original-Weihnachtstag, ist gerade dabei, seine Geduld mit der Menschheit ein wenig zu verlieren. Sie werden nicht friedlich, sie werden nicht gut, sie werden einfach nicht so, wie er sich das vorstellt. Er schickt dann seinen zweiten Sohn auf die Erde.
Den Weihnachtsmörder?
Ja, der ist anders gestrickt als der erste. Der sagt sich: „Mein großer Bruder hat es im Guten probiert, ich versuche es jetzt mal auf die harte Tour.“
Herr Martenstein, das klingt doch sehr ketzerisch.
Ich weiß nicht, ob es ketzerisch ist. Es ist auf jeden Fall verspielt. Was ich an Weihnachtsgeschichten generell mag, ist das feste, gut definierte Personal und die klare Handlung. Als Autor hat man da eine Art Instrumentenkasten vor sich und kann ganz nach Belieben die Bestandteile von Weihnachtsgeschichten neu zusammenschrauben.
Wenn Sie diese Bestandteile so zusammenschrauben, dass am Ende ein von Gott gesandter Weihnachtsmörder sein Unwesen treibt, dürften Ihre eigenen Erfahrungen mit diesem Fest nicht gerade positiv sein.
Also, ich habe wirklich schöne Weihnachtsfeste erlebt. Aber bei uns zu Hause lief es oft auf Streit hinaus, denn meine Eltern gingen da immer sehr perfektionistisch ran. Alles sollte stimmen, alles sollte so richtig schön sein. Aber, und das habe ich gelernt, das ist nicht die richtige Haltung. An Weihnachten darf ruhig auch mal was schiefgehen.
Im Vorfeld des Weihnachtsfestes hört man mittlerweile viele Menschen klagen, dass ihnen das alles zu viel sei. Trotzdem stürzen sie sich immer wieder in dieses vorhersehbare Drama. Sind wir in dieser Hinsicht etwas masochistisch veranlagt oder warum tun wir uns das immer wieder an?
Ja, das ist die große Frage. Aber es gibt ja schon nicht wenige Leute, die sich das nicht mehr antun wollen. Ich habe gelesen, dass Santaclausophobie, also die Angst vor Weihnachten und dem Weihnachtsmann, als Störung anerkannt ist.
Und was gibt es da für Behandlungsmethoden?
Das weiß ich nicht so genau.
Aber vielleicht würde ein Weihnachtsmann als Stripper und erotischer Dienstleister, wie in einer Ihrer Geschichten, hier für eventuelle Heilungschancen sorgen?
Das ist mein Versuch, Weihnachten mit der modernen Welt zusammenzubringen. Da ist ein arbeitsloser Architekt, gut aussehend, der auf die Idee kommt, diese Dienstleistung bei Betriebsfesten anzubieten. Was auch gut angenommen wird, denn es handelt sich um niveauvolle Erotik.
Wäre das nicht auch für den Heiligen Abend eine gewinnversprechende Idee? Da sitzen bestimmt viele einsame Menschen allein zu Hause.
Mein Architekt hat sich auf die Betriebsweihnachtsfeiern beschränkt. Die finden ja immer in der Vorweihnachtszeit statt. Am Heiligen Abend zählt er bestimmt das Geld, das er mit Strippen verdient hat. Aber für die einsamen Menschen habe ich eine andere Idee in einer Geschichte geschrieben.
Wir sind gespannt.
Da geht es um eine Weihnachtsagentur, bei der man eine Familie buchen kann. Also einen Ehepartner, wenn man keinen hat. Auch Kinder in jeder gewünschten Menge. Diese Partneragentur sitzt in der Dominikanischen Republik und besorgt alles.
Eine wirklich vielversprechende Geschäftsidee.
Ja, man kann auch eine liebe Oma buchen oder einen Onkel. Und wenn man es ein wenig aufrauen möchte, kann dieser Onkel dann ganz fragwürdige politische Ansichten vertreten und streitsüchtig sein. Dadurch kriegt das Ganze einen noch realistischeren Touch. Simulierte Familien. Eine Weihnachtsdienstleistung, da gebe ich Ihnen recht, die ich auch für sehr vielversprechend halte.
Wie verbringen Sie Weihnachten? Sie sind doch hoffentlich nicht auf eine solche simulierte Familie angewiesen?
Nein, nein, und den Heiligen Abend verbringe ich ziemlich standardmäßig im mal größeren, mal kleineren Familienkreis. Vor zwei Jahren sind wir mal alle zusammengekommen, das war eine Riesenrunde. In diesem Jahr wird es etwas kleiner. Da sitzen wir zusammen, essen was Gutes und machen uns Geschenke.
Klingt harmonisch, ist es aber selten.
Nun, die Idee, dass eine Familie zusammenkommt – also auch Geschwister, die in verschiedenen Städten gelandet sind –, darin liegt ja einerseits der Reiz dieses Treffens, das ist das Schöne daran. Aber es birgt auf der anderen Seite auch eine Gefahr, weil niemand weiß, wie das genau ablaufen wird, wenn man sich lange nicht gesehen hat. Ob da nicht wieder alte Konflikte hochkommen. Das passiert ja hin und wieder. Weihnachten ist immer ein Risiko dabei.
Vielleicht sollten wir uns da ein wenig zusammenreißen und uns besinnen, wofür dieses Fest ursprünglich steht. Ansonsten klopft am Heiligen Abend doch noch der Weihnachtsmörder an die Tür. Wie geht es mit dem eigentlich weiter?
Da will ich jetzt nicht zu viel verraten. Aber ich habe eine Menge skurriler Geschichten geschrieben, es sind aber auch melancholische und ernsthafte dabei. Mir macht es ja Spaß, das Groteske und Humoreske mit dem Ernsthaften zu mischen. Ich überlasse es dann dem Leser, herauszufinden, wie ich es gemeint habe.
Eine Sammlung von Geschichten, die am Heiligen Abend gelesen, für ein gutes Familienklima sorgen könnten?
Zumindest für ein heiteres Klima.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Harald Martenstein liest aus „Freuet Euch, Bernhard kommt bald!“ am Sonntag, dem 14. Dezember, um 20 Uhr in der Schinkelhalle in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 15 Euro (zuzüglich Gebühren)
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