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Kultur: Weißrussisches Lebensgefühl

„Eternal Song“: Figurentheater aus Minsk beim Theaterfestival Unidram

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„Eternal Song“: Figurentheater aus Minsk beim Theaterfestival Unidram Auf der Bühne sind zwei niedrige Kästen, gefüllt mit dunklem grobkörnigem Kieselsand. Nach jeder Szene wird der Sand wieder geglättet. Zwei Studentinnen (Svetlana Ben, Alexandra Patsey) und zwei Studenten (Alexei Donin, Igor Kazakov) der Kunstakademie Minsk, die im dritten Jahr Puppentheaterregie studieren, spielten „Eternal Song“ beim Unidram Festival. Inszenierung und Idee stammen von ihrem Professor, Alexei Leliavski. Die kurzen Bilder und Szenen basieren auf dem weißrussischen Nationalpoem das „Ewige Lied“, geschrieben von Yanka Kupala (1882-1942), dem bedeutendsten weißrussischen Schriftsteller. Mal in absoluter Stille, mal von mehrstimmig gesungenen weißrussischen Liedern oder von Rockmusik aus den Lautsprechern begleitet, ereignen sich kurze Glücks- und Leidsgeschichten. Schwere schwarze Stiefel ragen neben kleinen Schaumgummifiguren, kaum größer als eine Hand, empor. Die Stiefel tanzen oder wanken durch den Kiessandkasten, um eine Flasche fallen zu lassen. Das kleine Männchen mit dem plumpen Körperbau und dem großen Kopf, dessen Gesicht nur angedeutet ist, nähert sich der Flasche. Es klopft an das Glas und legt sein Ohr daran. Ein schöner Klang ertönt, es bekreuzigt sich. Ein zweites Männchen kommt, legt ebenfalls sein Ohr an die Flasche, aber es hört nur ein schepperndes Geräusch und will statt dessen aus der Flasche trinken. Das erste Männchen muss die riesige Flasche nach oben stemmen. Als sich der gesamte imaginäre Inhalt über das zweite Männchen ergossen hat, will es loslaufen, bohrt sich aber immer tiefer in den Kieselsand, streckt die Gliedmaßen von sich und erstarrt. Die überlebende Figur schleicht davon. Meist zu zweit, mit schwarzen Handschuhen, werden die Figuren an kurzen Stäben geführt. So lebendig sind ihre Bewegungen, so klar vermitteln sich ihr Gefühlslagen, dass eine Frau im Publikum die Hände vors Gesicht schlägt, als drei Figuren, die in einem Abfallhaufen gewühlt hatten, zusammengekehrt werden. Ein Spieler in schwarzen Stiefeln stopft den Müll samt Figuren in seinen Eimer, um alles zu entsorgen. Doch es gibt auch sanfte Momente. Zwei Figuren, ein Mann und eine Frau, tragen kleine grüne Kisten auf die Spielfläche. Als sie diese öffnen, ertönt eine fiepsende Melodie. Aus jedem Kasten eine andere. Die Figuren nehmen sich in den Arm und lauschen aneinander geschmiegt. Wenig später wird von einem Spieler die Erklärung der Menschenrechte verlesen, auf Russisch. Parallel dazu spannt eine männliche Figur die weibliche vor den Pflug und sie durchpflügen den Kiessand. So reiht sich eine Episode an die nächste, mal Spielen die Spieler, mal lassen sie ihre Figuren spielen. Oft ist es lustig, doch stets liegt eine melancholische oder sogar depressive Stimmung über den Szenen, und Brutales wird mit einer gleichmütigen Ruhe ausgeführt, als sei nichts dabei. Blaue Blumen werden mit Nägeln festgehämmert und dann wieder aus dem Holz gerissen und in einen Eimer geschmissen. Eine Figur baut eine Pumpe, die tatsächlich etwas Wasser spuckt und stellt sich stolz vor seinem Werk in Pose. Ein Spieler spricht Lukashenko-Reden ins Mikro, der Applaus kommt von Band. Dann zerstört der riesige Storch die winzige Pumpe. Es war die späte Vorstellung im T-Werk, der Saal nur halb voll. Langer Applaus, doch über allem hing noch die gedrückte Stimmung. Lebensgefühl aus Weißrussland, mit viel künstlerischem Können und eindringlichen Bildern vermittelt. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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