Kultur: Wenig Hoffnung am Horizont?
Meinhard Miegel sieht Europas Untergang
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Dass Meinhard Miegel einer der profiliertesten Sozialforscher ist, bewies der Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft eingangs durch seine Bemerkung, dass er gerade von einem zweitägigen Forum zur demographischen Entwicklung komme. Dieses war vom Bundespräsidenten höchstselbst angeregt und besucht. Schützenhilfe von ganz oben aber benötigte Miegel am Mittwochabend in dem zur Hälfte gefüllten Saal im Alten Rathaus nicht, denn er versteht es, seine Thesen in logischer Stringenz so vorzutragen, dass man sich ob der Ausweglosigkeit unserer gesellschaftlichen Situation nachgerade geschlagen fühlt.
Da waren selbst die halbherzig nachgeschobenen optimistischen Beiträge des konservativen Gesellschaftskritikers kein Trost. Unsere westliche Gesellschaft sei an mehreren Stellen nachhaltig krank: Extreme Kinderlosigkeit geht mit der erhöhten Lebenserwartung eine unheilvolle Allianz ein und führt zu der komplett neuen Erfahrung einer alten Gesellschaft. „Mein Gott, wohin mit den vielen Alten?“ stöhnte er, der selbst 1939 geboren wurde. Während wir also fröhlich vor uns hin ergrauen, sind andere Erdteile enorm fruchtbar: In 40 Jahren, so prognostiziert Miegel, wird die Weltbevölkerungszahl um drei Milliarden junger Menschen gestiegen sein. Zeitgleich mit diesem Problem erwächst aus der globalen Konkurrenz und der Fähigkeit anderer Staaten, unendlich viel günstiger zu produzieren, die Tatsache, dass „die Welt aufgeholt“ habe und „ihren Teil“ fordere. Dass wir unseren Wohlstand nicht werden halten können, ist für ihn Fakt. Verglichen mit den meisten anderen Menschen aber ginge es selbst den Hartz-IV-Empfängern gut, beschwichtigte der Zukunftsprognostiker und mahnte schließlich an, dass wir uns auf andere Werte, wie Ideen- und Gestaltungsreichtum, besinnen müssten, um der Gefahr die Stirn zu bieten. Die Situation sei zwar ernst, jedoch nicht aussichtslos, versuchte er am Ende zu beruhigen, wir müssten aber „die Lektion lernen“, damit uns auch die Zukunft gehöre. Die gute Nachricht sei, dass es bald vielen Menschen auf der Welt besser ergehe, aber wir müssten ihnen ein „Stück entgegen“ gehen. Wichtig sei vor allem der Zusammenhalt der Gesellschaft, für den er aber keine Hand ins Feuer lege.
Der Herausgeber des Cicero, Wolfram Weimer, hielt ihm freundlich ein hoffnungsvolleres Szenario entgegen. Geschichte verlaufe in Sprüngen und nicht linear, schon häufig hätten sich Demographen geirrt, und ob die Industrialisierung in anderen Weltteilen ebenso raubbauartig verlaufen werde wie bei uns im 19. Jahrhundert, müsse sich noch erweisen. Eventuell sei die Technologieentwicklung ja schneller, als wir erwarten, und am Ende seien dann alle relativ reich.
Doch Miegel wollte sich dem nicht anschließen, zitierte aus Briefen, in denen ihm Industrielle ihre Sorgen darüber berichten, dass schon in zehn Jahren die Rohstoffe weltweit ausgehen werden. Aktiv mischte sich am Ende das Publikum ein. Ein junger Mann fragte nach, was er denn da im Ernstfall zu verteidigen habe, und da kam Miegels positivste Aussage: Ein freiheitliches System mit vielen Mängeln, dessen Verteidigung sich aber allemal lohne. Lore Bardens
Lore Bardens
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