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Kultur: Wenn das Eis schmilzt

Das Jugendstück „Märchenherz“ von Pilip Ridley hat heute in der Reithalle Premiere / Kerstin Kusch führt Regie

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Wenn sie erzählt, scheint der ganze Körper angespannt. Wie ein Ausrufezeichen steht er hinter den Worten. Man spürt das harte Training, das Kerstin Kusch in ihr Auftreten investierte. „Fast überehrgeizig habe ich mich früher beim Schwimmen oder im Fitnessclub gestählt und den Bogen dabei auch überspannt.“ Inzwischen kann sie etwas relaxter mit sich umgehen, denn sie hat es geschafft. Ihr Kindheitstraum Theater ist in Erfüllung gegangen.

Heute stellt die 33-jährige „Referentin Theater für junge Zuschauer“ am Hans Otto Theater ihre erste professionelle Regiearbeit vor, in die sie viel aus ihrer eigenen Kindheit hineingeben konnte. Denn „Märchenherz“ erzählt über die Einengung von Spielräumen und wie man aus einer kargen, fantasielosen Welt kraft der eigenen Vorstellung einen lebendigen Raum kreieren kann. In dem Stück von Philip Ridley ist es der Junge Gideon, der mit Pinsel und Farben eine Traumlandschaft malt. „Man sieht, wie unter seinen warmen Händen, das ,vergletscherte’ Mädchen Kirsty, das den Tod der Mutter nicht verwinden kann, allmählich schmilzt.“

Oft habe sie mit den beiden Schauspielern Nele Jung und Holger Bülow über Kindheit, Träume, die erste Liebe gesprochen. Mit großer Ernsthaftigkeit. „Ich hoffe, dass sie in der Inszenierung nicht überbetont ist.“ Denn vor allem die Spielfreude sei es ja, die das Theater ausmache. Und die dazu führte, dass auch sie dem Theater verfiel.

Kerstin Kusch erzählt bei einer Orangensaft-Schorle, dass sie aus eher bildungsfernen Verhältnissen stamme. Sie wuchs in einer Braunschweiger Hochhaussiedlung auf. Das bisschen Grün am Rande der Betonwüste wurde zu ihrem Dschungel, die abends ruhiger werdende große Straße zu einem Fluss, in den sie die „Angel“ warf. Wie Gideon deutete sie das reale Leben in das ihrer Träume um. Sie verbuddelte Schätze, grub andere aus. Und wollte Archäologin werden. Sie hatte das Glück, dass die Lehrer ihrer Gesamtschule sie in ihren künstlerischen Ambitionen bestärkten. Schon ab der fünften Klasse schrieb sie kleine Stücke, spielte in der Schülertheatergruppe und bewies dort vor allem Mut zur Hässlichkeit. „Ich war die schrille Mutter, Hexe oder Intrigantin. Die süße kleine Prinzessin nie.“

Bereits mit 16 verließ sie das Elternhaus, jobbte in Kneipen, um sich das Fahrgeld zum Vorsprechen an Schauspielschulen zu verdienen. „Ich hatte einen Wahnsinnsehrgeiz.“ Doch gerade mit dieser Verbissenheit gelang es ihr nicht, klein und authentisch zu spielen. Da es mit der Schauspielkarriere nicht klappte, studierte sie in Erlangen Theaterwissenschaft. „Ich wollte unbedingt ans Theater und sei es an die Kasse.“ Sechs Jahre machte sie alle nur erdenklichen praktischen Seminare zu Schauspiel, Regie und Dramaturgie, schrieb Stücke, sogar ein Auftragswerk, inszenierte an diversen Off-Theatern. Nach ihrer Magisterarbeit über Elfriede Jelinek begann sie als Regieassistentin zu arbeiten, auf dem Festival „Junge Hunde“ in Meiningen ebenso wie im Hebbel am Ufer Berlin. Und zwischendrin spielte sie in einer skandalumwitterten „Medea“ der Volksbühne im Chor. „Viele Menschen haben dabei gelitten, ich bin aber eher leidensfähig.“ Ohnehin müsse man als Assistentin ein dickes Fell haben und stressresistent sein. „Oft geht es heiß her auf den Proben, aber Theater ist nun mal ein Ort der Leidenschaften.“

Zwei Jahre assistierte sie am Magdeburger Theater: bei Sascha Hawemann, Tobias Wellemeyer, Andreas Kriegenburg, Lukas Langhoff. Regisseure, die nun auch in Potsdam inszenieren. „Meist arbeitet man unsichtbar im Stillen, aber wenn man gefragt wird, muss man mit der eigenen Meinung zur Stelle sein. Vermehrt setzte man mich auch in komplizierten Produktionen ein. Die Leitung meinte, dass ich gut strukturieren könne.“

Das war wohl auch der Grund, ihr vor zwei Jahren eine neue Perspektive zu eröffnen: als Theaterpädagogin und als eine der zwei Leiterinnen des Theaterjugendclubs Magdeburg. Plötzlich musste sie sich ganz anders an die Öffentlichkeit wagen, vor Lehrern, Schülern, dem Förderverein reden. „Ich habe mich total unsicher gefühlt, griff zu Johanniskraut und Bachblüten. Meine Auftritte waren regelrecht inszeniert.“ Inzwischen weiß sie, dass es mit weniger Druck besser läuft und man auch zugeben kann, wenn man etwas nicht weiß.

Bestand als Regieassistentin die Gefahr, „hermetisch“ zu werden, wurde durch die Arbeit mit jungen Menschen viel aufgebrochen. Auf beiden Seiten. In den körperbetonten Workshops, die sie gibt, wird die Theaterpädagogin immer wieder mit verschiedenen Problemen und Problemchen der Jugendlichen konfrontiert. „Man muss sie alle ernst nehmen. Denn wenn die Kids richtig gesehen werden, heilen auch ihre Wehwehchen.“

Kerstin Kusch versucht in Potsdam, die „Akademie“ weiter abzuwerfen und Spiel- und Vermittlerfreude auszustrahlen. Nur so könne die Lust am Theaterspiel um sich greifen. „Und wenigstens in der Improvisation fassen sich die Jugendlichen auch mal zärtlich an. Auf dem Schulhof passieren Berührungen meist nur in negativer Form, beim Kneifen oder Necken. Dort ist Coolness angesagt.“

Sich selbst zu finden, sei ein Prozess, der jedem viel abverlangt. Davon erzählt auch „Märchenherz“, ein Stück, das sich Kerstin Kusch nicht selbst ausgesucht hat, sondern von der Theaterleitung übertragen bekam. „Aber es passt zu mir.“

Premiere heute 18 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse, ab 13 +

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