zum Hauptinhalt
Wenn die Freundschaft leidet. Lea Willkowsky (Marie) und Friedemann Eckert (Olaf) in „Netboy“.

© HOT/Göran Gnaudschun

Premiere in der Potsdamer Reithalle: Wenn das Internet zum Albtraum wird

Leben zwischen Chatroom und Klassenzimmer. In der Potsdamer Reithalle hatte „Netboy“ Premiere - und zeigte, wie schnell die virtuelle Welt die eigene Existenz bedrohen kann.

Von Sarah Kugler

Stand:

Links und rechts hängt jeweils eine Kamera von der Decke. Dazwischen liegt die Bühne: T-förmig, weiß, kalt. Hinten abgeschlossen von einer kahlen Wand. Auf der einen Seite stehen einsam drei Stühle. Eingerahmt von blauem Licht. Es ist ein passend abweisendes, beklemmendes Bühnenbild, das Matthias Müller für die Inszenierung von „Netboy“ am Hans Otto Theater entworfen hat. Am Dienstag fand die Premiere des Jugendstückes unter der Regie von Aurelina Bücher in der Reithalle statt und zeigte mit erschreckender Intensität, wie der unvorsichtige Umgang mit der virtuellen Welt (beinahe) zum Existenzverlust führen kann.

Marie ist ein fröhliches und beliebtes Mädchen, das in einem Chatroom den mysteriösen Netboy kennenlernt, der sie mit seinen einfühlsamen Antworten und immer passenden Kafka-Zitaten tief beeindruckt. Von ihm angeleitet lässt sie sich zu einem scheinbar harmlosen Streich hinreißen. Doch Netboy demütigt sie öffentlich, indem er ein Foto von ihrer Tat ins Netz stellt. Verzweifelt erkennt sie, dass sie zwischen Schein und Sein nicht mehr unterscheiden kann und verliert selbst das Vertrauen in ihre besten Freunde Olaf und Sarah. Als diese sich auch von ihr abwenden, fasst sie einen verzweifelten Entschluss. Doch ist wirklich schon alles zu spät?

Sehr rasant geht das Stück voran. Die anfangs so karg wirkende Bühne erwacht zum Leben. Sie wird zum Esstisch und zum Klassenzimmer. Zum öffentlichen Nahverkehr und zur Schultoilette. Die drehbaren Wände bringen zusätzlich Bewegung in die Inszenierung und fungieren mal als Spiegel, mal als riesiger Computerbildschirm. Bücher schafft es, die virtuelle Welt des Internets vollkommen unverkrampft auf die Bühne zu bringen. Beim Skypen erscheint Maries Vater (Axel Sichrovsky) auf dem großen Wandbildschirm, während sie in eine der herabhängenden Kameras spricht. Im Chatroom sieht der Zuschauer lediglich Marie, die ihre Nachrichten laut vorträgt. Dabei poppen auf dem Bildschirm immer wieder sogenannte Emoticons auf, die ihre Gefühlslage unterstreichen. Netboy selber ist nur eine gesichtslose Stimme, die aus dem Off erklingt und auf dem Bildschirm verschriftlicht wird.

Trotz der rasanten Erzählart schafft es das Stück, sich viel Zeit für seine Charaktere zu nehmen. Sehr beeindruckend stellt Lea Willkowsky den Wandel von der fröhlichen unbeschwerten Marie zum desillusionierten, verzweifelten Mädchen dar. Zwar neigt sie anfangs zum übertrieben ausdrucksstarken Spiel und verliert damit etwas an Glaubwürdigkeit, doch ihre intensive, sehr authentische Darbietung am Ende lässt darüber hinwegsehen. Als Maries Mutter bewegt sich Sibylla Rasmussen solide zwischen verzweifeltem und sorgendem Elternteil durch das Stück. Nora Decker brilliert mit ihrem authentischen Spiel der undurchschaubaren Sarah und zeigt, dass eine Rolle viele Gesichter haben kann, ohne dabei ihre Natürlichkeit zu verlieren. Der heimliche Star des Abends ist jedoch Friedemann Eckert als Maries bester Freund Olaf. Absolut glaubhaft gibt er den schüchternen Teenager, hin- und hergerissen zwischen liebenswürdiger Tollpatschigkeit und gewollter Coolness. Dabei zeigen die jungen Helden intensiv, wie sehr sich Teenager mit ihrem eigenen Ich auseinandersetzen und wie schnell jede Erschütterung ihres sozialen Sicherheitsnetzwerkes sie aus der Bahn werfen kann. „Netboy“ macht deutlich, dass man sich gerade in dieser empfindlichen Phase der Selbstfindung sehr schnell in der großen doppelbödigen Welt des Internets verlieren kann. Was unter der Maske der Anonymität Sicherheit verspricht, kann schnell sein wahres Gesicht zeigen und zur Falle werden. Das Stück schafft es dabei, nicht nur eine Warnung ohne erhobenen moralischen Zeigefinger zu sein, sondern hält auch ein Plädoyer für wahre Freundschaft und sozialen Zusammenhalt. Sarah Kugler

Wieder am Donnerstag, 17. Oktober und am Freitag, 18. Oktober, jeweils 18 Uhr, in der Reithalle in der Schiffbauergasse

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })