
© Felix Broede
Kultur: „Wenn das Vertrauen da ist“
Lars Vogt über seinen Lehrer Karl-Heinz Kämmerling . Gedenkkonzert in der Französischen Kirche
Stand:
Herr Vogt, Sie haben mit sechs angefangen Klavier zu spielen und werden in all den Jahren sicher einige Lehrer gehabt haben.
Nein, nur zwei.
Einer davon war Karl-Heinz Kämmerling?
Genau, und er war schon der wichtigste. Seit ich 14 Jahre alt bin, habe ich mit ihm gearbeitet. Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr.
Die Potsdamer Edwin Fischer Sommerakademie widmet Kämmerling am heutigen Freitag ein Gedenkkonzert, bei dem auch Sie auftreten. Welche Bedeutung hatte Karl-Heinz Kämmerling als Lehrer und Mensch für Sie?
Das kann man nicht in ein paar Worte fassen. Er war von Anfang an ein absoluter Leuchtturm für mich. Er hat mein pianistisches Können auf professionelle Füße gestellt, war aber auch menschlich immer ein Ansprechpartner. Ich kann mich an so manche persönliche Frage erinnern, die ich ihm stellen konnte und bei der er ganz geduldig zugehört hat. Da wurde die Verbindung zwischen dem Künstlersein und dem Menschsein hergestellt. Er hat ja auch einmal gesagt: „Das Studium ist letztlich das Finden der eigenen Persönlichkeit“, ein Sichfinden im Grunde.
Wenn Sie diese menschliche Komponente so betonen, war Kämmerling für Sie mehr als nur ein Lehrer, auch ein Freund?
Er war Lehrer und Mentor. Das ist mir besonders im vergangenen Jahr bewusst geworden, als er verstorben ist und ich das Glück hatte, ihn noch einige Male am Sterbebett zu besuchen. Über die Jahre ist das auch eine Freundschaft geworden.
Was hat ihn als Lehrer ausgezeichnet?
Eine der letzten Male, die ich bei ihm war, haben wir beide danach gerungen, noch Worte zu finden. Ich habe dann nur gesagt: „Ich glaube, wir können jetzt gar nichts mehr in Worte fassen, aber du weißt, was ich meine“, und er hat nur genickt. Und dann hat er mit den wenigen Kräften, die er zum Sprechen hatte, gesagt: „Und das war immer so bei dir, dass wir uns ohne viele Worte verstanden haben“. Das war das Besondere. Es sind manchmal einfache Gesten. Er sprach sogar davon, dass manchmal die pure Anwesenheit des Lehrers schon Dinge verändern kann. Wenn das Vertrauen da ist. Natürlich entwickelt man miteinander ein Vokabular, das man dann ganz schnell versteht. Aber dazu braucht es dieses Vertrauen. Etwas, das ich jetzt selbst auch entdecke, da ich seit seinem Tod auch angefangen habe zu unterrichten.
Beim heutigen Konzert spielen Sie den zweiten Satz aus Beethovens Sonate Opus 111, seine letzte Klaviersonate. Auch da gibt es eine besondere Verbindung zu Karl-Heinz Kämmerling, die für dieses besondere Vertrauen spricht.
Ja, er hat sie mir sehr früh zugetraut. Ich habe das als eine große Herausforderung angenommen und bin an der Sonate auch sehr gereift. Wir haben eine enge Verbindung, auch in der Arbeit an der Sonate aufgebaut. Ich kann mich an manche, geradezu meditative Stunde erinnern, wo wir versucht haben, in die Schwingung des zweiten Satzes zu kommen und in diesem Schwingen einer tieferen philosophischen Bedeutung nachzuspüren, die man auch wieder in Worten gar nicht fassen kann. Erst kürzlich bekam ich von seiner Frau ein Paket mit einigen Partituren, die er mir hinterlassen hat. Dabei war auch eine Ausgabe der späten Beethoven-Sonaten, in der sich im Detail Eintragungen über die Gedanken finden, die er sich dazu gemacht hat. Ein unsagbar kostbares Geschenk für mich.
Im Alter von 17 Jahren haben Sie diese Sonate zum ersten Mal gespielt. War das zu früh?
Ich glaube, dass bestimmte Werke einem späteren Lebensabschnitt vorbehalten sind, wo man einen größeren Überblick über das Leben und die Tragweite einer solchen Komposition hat. Aber es ist auch wichtig, manchmal auch an die ganz großen Gipfel durchaus schon früh heranzugehen und dann über die Jahre weiter daran zu reifen. Auch das ist eine Frage, die sich mir jetzt als Lehrer immer wieder stellt. Inwiefern sollte ich vor den großen Dingen erst noch warnen, dass man sich da noch ein bisschen Zeit lässt, und inwiefern sollte ich Schüler, wenn sie bestimmte Stücke besonders lieben, ermutigen, sich diesen zu widmen, auch wenn sich wirklich befriedigende Lösungen erst mit den Jahren einstellen.
Wobei Beethovens Sonaten, egal in welchem Alter man damit beginnt, immer eine Lebensaufgabe bleiben.
Ja, wir haben in unserem Klavierrepertoire eine ganze Reihe wirklicher Lebensaufgaben, denen man sich zu unterschiedlichen Zeiten stellen kann.
Letztendlich besteht diese Lebensaufgabe ja im Versuch, eine solche Sonate zu durchdringen, zu verstehen und dann entsprechend zu interpretieren.
Und was Beethovens Sonate Opus 111 betrifft, finde ich die Interpretation, die Milan Kundera in seinem Buch „Vom Lachen und Vergessen“ geliefert hat, besonders spannend. Er hat sich gefragt, warum sich der späte Beethoven ausgerechnet mit der Form der Variation befasst hat. Und dann erzählt er die Geschichte seines Vaters, wobei ich vermute, dass das sogar eine wahre Geschichte ist, weil sein Vater Musikwissenschaftler war. Angeblich soll dieser kurz vor seinem Tod, als er immer weniger sprechen konnte, noch die Noten von Opus 111 auf seinem Flügel gelegt haben und dann irgendwann nur noch gesagt haben: „Jetzt weiß ich es“. Aber er hatte dann nicht mehr die Kraft, es zu sagen. Diese eigentümliche Art von Erkenntnis, die sich nicht mehr in Worte fassen lässt, findet sich auch in dieser Sonate.
Also eine Art Erkenntnis, eine Weisheit hinter den Worten?
In seinen Variationen im zweiten Satz versucht Beethoven diese Weisheit, diese Schönheit des Themas der Arietta zu begreifen. Er dringt immer tiefer ein, geradezu mikroskopisch tief, bis er eine Art Schallmauer durchbricht und dann plötzlich nur noch in einem luftleeren Raum schwebt. Das ist ein Raum von so hoher Erkenntnis, wie man ihn sich vielleicht vorstellt, im Moment des Todes zu betreten. Dann gefolgt von einer solchen Dankbarkeit, dass man dieses hat erleben dürfen, das ist überwältigende Musik an der Grenze von dem, was Musik eigentlich ist.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Gedenkkonzert für Karl-Heinz Kämmerling, gestaltet von ehemaligen Studenten, am heutigen Freitag, 19.30 Uhr, in der Französischen Kirche am Bassinplatz. Der Eintritt kostet 20, ermäßigt 10 Euro
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