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Kultur: Wenn der Benzolring züchtig tanzt „KAP-modern“ im Foyer des Nikolaisaal

„Quantensprünge“ verheißt das gleichnamige Programm, im Untertitel auch „komponierte Formeln“. Eine neugierig machende Bezeichnung für Offerten von musikalischen Metamorphosen physikalischer Phänomene.

„Quantensprünge“ verheißt das gleichnamige Programm, im Untertitel auch „komponierte Formeln“. Eine neugierig machende Bezeichnung für Offerten von musikalischen Metamorphosen physikalischer Phänomene. Am Montagabend stellten Musiker der Kammerakademie Potsdam diese in der Reihe „ KAPmodern“ im vollbesetzten Nikolaisaal-Foyer den Kennern von naturwissenschaftlichen Formelwerken und zeitgenössischen Klängen vor. Wird der Benzolring ein züchtiges Tänzchen wagen oder in rock’n’rollige Ekstase verfallen? In welche Wechselwirkung tritt das Plancksche Wirkungsquantum mit Elementarteilchen? Kann man Einsteins berühmte Relativitätsgleichung in Töne verwandeln? Oder den Druck, der sich als Kraft pro Flächeneinheit definiert, komponieren? Fragen über Fragen.

Bevor es an ihre klangliche Realisierung geht, gibt es im Einstein-Forum einen Vortrag über „Musik und Sprache“, die Albrecht Wellmer, emeritierter Philosophieprofessor, anstelle des grippekranken Leon Botstein hält. Was ist anders im 20. Jahrhundert geworden, wo es die Einheit von Musik und Sprache nicht mehr gibt, stattdessen die Materialität von Klangerzeugung im Vordergrund aller kompositorischen Bemühungen steht? Nach drei Minuten zu Fuß lässt sich die Theorie mit der Praxis vergleichen. Die erwartungsfrohen Hörkostler erkennen bei diesem klingenden Kolloquium über die Physik von Instrumenten natürlich sofort die dahinter verborgene assoziative Absicht. Was Druck (englisch: pression) bewirken kann, führt Cellist Christoph Hampe in Helmut Lachenmanns gleichnamigem Werk auf allen Teilen seines Instruments vor. Längs der Saiten ratscht sein Bogen von oben nach unten, sodass es herzzerreißend kratzt, quietscht, zwitschert, wimmert, knarzt und stöhnt. Er greift Töne, die man nicht hört, weil sie nicht gestrichen werden. Auf sieben Notenpulten breitet sich der Leporello von Lachenmanns Opus „Dal niente“ für Klarinette solo aus, das Theo Nabicht wahrlich aus dem Nichts heraus virtuos bläst, dabei mit Klappen- und Atemgeräuschen genauso wenig spart wie mit dem Angstquietschen eines schlachtbedrohten Schweines.

Im Solo für Flöte „Density 21,5“ von Edgar Varese brilliert Bettina Lange mit Edelton zwischen Melodielinien und dissonanten Ausrufezeichen. Erneute Sägegeräusche und Laute wie von einem hungerknurrenden Wolf fabriziert Kontrabassist Tobias Lampelzammer in „Stirrings Still“ von Rebecca Saunders. Dazu tröpfelt das Klavier Einzeltöne, streicht Friedemann Werzlau an einer Batterie von Crotales genannten Metallscheiben ätherische Zutaten. Zusammen mit Altflöte, Oboe (Jan Böttcher) und Klarinette entsteht eine ungewöhnliche Klangmixtur, der man sich nicht entziehen kann. Einen optisch starken Eindruck hinterlässt Mauricio Kagels bühnentheatralisches Opus von der „Himmelsmechanik“ mit Sonne, Mond und Sternen, Donnergrollen, Regengeräuschen. Dazu gibt’s Klänge wie aus den Weiten des Weltalls – ein reizvoll-witziges Spektakel. Originell auch „Spectre“ von John Oswald, in dem die Frequenzen der Instrumente eines livehaftig spielenden Streichquartetts sich zu einem „Weißen Rauschen“ verweben. Darüber legt sich das Bandeinspiel von gemixten, bereits existierenden Musikaufnahmen. In „Physical Property“ für E-Gitarre (Ralph Günthner) und Streichquartett von Steve Mackey ist des Staunens kein Ende, wenn sich das Starinstrument der Rockgeneration mit dem vierfachen der Klassikfans zu einer faszinierenden Melange fröhlicher und überschwänglicher Klangerfindungen verbindet. Peter Buske

Peter Buske

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